Die ambitionierte Küche

…und das verflixte dritte Jahr
Sie haben einen prima Start hingelegt im Gasthof Neubad, doch nun sind Julie und Philipp Wiegand an einem komplizierten Punkt angelangt, der für den Findungsprozess eines jungen Wirte-Ehepaares mit hohen Ansprüchen an sich selbst durchaus exemplarisch sein kann.
An den Kritiken kann es nicht liegen. Die fallen fast durchweg begeistert aus. Im Gasthof Neubad isst man ausgezeichnet, trinkt man ausgesucht, sitzt man gemütlich und erlebt das, was Erika Lund, die für den Service zuständig ist, mit einem freundlich gehauchten «angenehmen Genuss» wünscht.
Das klingt vorderhand alles prima, ist es auch. Davon haben wir uns selbst überzeugt, haben butterzarte Gänseleber mit raffinierten Sesam-Crêpes genossen, Calamari mit dreierlei Aioli, wir haben den Zwischengang ausgelassen, weil es schon später am Abend war, den perfekt gegarten Kalbsrücken mit den confierten Schalotten und Spinat-Ricotta-Gnocchi jedoch nicht, haben den Cuvée d’Or aus dem Weinhaus Siebe Dupf dazu getrunken. Und dann hat Julie Jaberg Wiegand gesagt, dass bekanntlich das dritte Jahr eines der schwersten sei. Und angefügt: «Nicht, dass die anderen einfach wären.»
Der frische Anstrich für ein Traditionshaus
Im Sommer 2012 haben Julie Jaberg Wiegand (32), eine Rodersdorferin, und Philipp Wiegand (34), ein gebürtiger Dortmunder, geheiratet und im Herbst des gleichen Jahres den Gasthof Neubad in Binningen übernommen. Auf eigenen Beinen zu stehen – damit ging ein Traum in Erfüllung. «Der Charme des Hauses, der wunderschöne Garten – wir haben die Qualität des Neubads gesehen», erzählt Julie Wiegand.
Aus den gar nicht einfach geschnittenen Räumlichkeiten haben sie einiges herausgeholt, hell und einladend ist der Hauptraum mit seinen 36 Plätzen, und daneben wird ein Bankettsaal bewirtschaftet. Tischdecken waren ursprünglich eigentlich gar nicht vorgesehen, sind nun aber ein kleiner Trick, um die Akkustik zu beeinflussen.
Die Wiegands sind in ein Traditionshaus gekommen. 1765 erbaut, hat das «Neubad» eine spannende Geschichte zu erzählen, die auf der Website altbasel.ch festgehalten ist. Als sich 2009 der inzwischen verstorbene Viktor Marx nach fast vier Jahrzehnten gutbürgerlicher Küche im allerbesten Sinne aus dem «Neubad» zurückzog, erlebte das auf der Kantonsgrenze zur Stadt gelegene Haus weniger glückliche Zeiten.
Jetzt werden dort Menüs kreiert von zwei Köchen, die beide in hochdekorierten Küchen ausgebildet und geformt wurden, im «Stucki», «Schifferhaus» und «Teufelhof» in Basel, in der «Traube Tonbach» in Baiersbronn oder bei Thomas Henkelmann in New York. Es ist eine ungewöhnliche Konstellation, dass ein Wirte-Ehepaar gemeinsam am Herd steht und dem Credo «Tu, was du kannst, mit dem, was du hast, dort, wo du bist» folgt.
Die Qualität schlägt sich in der Kritik nieder
Dass die Wiegands etwas können, merkte eine Stammkundschaft schnell, und es schlug sich nieder, noch nicht gross im Guide Michelin, dafür im Gault Millau mit 13 Punkten samt wohlwollender Bewertung: «Was die Jungköche auf die Teller bringen, kann sich sehen lassen. Trotz ziemlicher Ambitionen haben sie die Bodenhaftung nicht verloren.» Und die «Schweizer Illustrierte» schaute auch vorbei.
«Besser geht’s nicht», heisst es etwas gar überschwenglich in der neusten Ausgabe des Gastroführer «Basel geht aus», wo das Neubad unter der Rubrik «Trendsetter» auf Rang 1 geführt wird (nebst dem «Feldberg» in Kleinhüningen, dem «St. Albaneck» in der Breite, dem «Steakhouse 800 Grad», dem «Lämmli» in Metzerlen, dem «Fresh» in Aesch und der Brasserie La Rose im Grand Casino).
In Vergessenheit geraten
An den Kritiken kann es also nicht liegen, wenn Julie Wiegand mit gemischte Gefühlen die Entwicklung im komplizierten dritten Jahr betrachtet. «Wir haben den Eindruck», sagt sie, «dass wir etwas in Vergessenheit geraten sind.»
Das mag auch an der Lage liegen, etwas versteckt hinter dem Neuweilerplatz (dafür mit einem grossen Parkplatz). Laufkundschaft verirrt sich hierher kaum. Das liegt vermutlich auch daran, dass das «Neubad» eine kleine Karte anbietet und der Sechsgänger abends mit 116 Franken zu Buche schlägt. Das Schöne an der auf einer Schiefertafel angepriesenen Speisefolge: Man kann sie sich bis zum Dreigänger mit entsprechender Preisreduzierung (82 Franken) zusammenstellen.
 
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Was der Experte als Erfolgsfaktor erachtet
Für die Branche ist das verflixte dritte Jahr nach einem personellen Wechsel wie im «Neubad» keine Überraschung: «Es ist ein Neuaufbau, bei dem man in seinem Dienstleistungsangebot durchhalten und die Qualität der Küche hochhalten muss», sagt Christoph Känel aus Bubendorf. Der einstige «Neubad»-Wirt Viktor Marx war einer der Fachlehrer, als Känel seine Kochlehre machte.
Seit 2003 ist Känel selbständiger Berater für Gastronomie und Hotellerie, und zur speziellen Konstellation im «Neubad» mit den Chefs in der Küche sagte er generell: «Man darf sich nicht in der Küche verstecken. Mit Herz auf den Gast zugehen und mit ihm im Gespräch sein, das ist ein Erfolgsfaktor.»
Einen anderen Faktor kann die Branche nicht beeinflussen. Auch hier schlägt der neue Euro-Franken-Kurs durch. Im Badischen essen zu gehen ist wahrlich kein neuer Trend, aber nun verschärft sich die Situation, wie Känel beobachtet. Und im Gegensatz zum Detailhandel fällt es den Gastronomen offenbar schwerer, die Preise zu reduzieren. «Es gibt viele tolle Konzepte in Basel, aber die Preise sind zu hoch», sagt Känel, «Rechtfertigen lassen sich diese nur, wenn Qualität, Dienstleistung und Freundlichkeit auf hohem Niveau stimmen.»
Der selbstkritische Blick der Wiegands
Bei der Ursachenforschung des Vergessen-gegangen-Seins sind die Wiegands selbstkritisch genug: «Wir haben einen Mega-Start hingelegt, im ersten Winter hatten wir bis zu 80 Leute im ‹Neubad›, aber Werbung haben wir keine gemacht», sagt Julie Wiegand, «wir haben keinen Kopf und keine Zeit für anderes gehabt.»
Ihre Zeit haben sie darauf verwendet, Menüs zu entwickeln. Es kann Tage dauern, bis ein Mehrgänger steht, dann tüfteln sie mit den Grundkomponenten, an den Texturen und wie die Gerichte auf dem Teller präsentiert werden sollen. «Jetzt», sagt Julie Wiegand, «haben wir unsere Linie gefunden.»
«Man könnte auch weniger Aufwand betreiben», räumt Philipp Wiegand ein. Wollen die beiden aber nicht. Alles, was sie selbst in der Küche zubereiten können, wird auch selbst gemacht, selbstverständlich auch das Brot. Und so weit der Dortmunder auch gereist ist in seiner Kochlaufbahn und so hoch das Niveau war, auf dem Julie Wiegand als Chef de Entremetier bei Tanja Grandits im «Stucki» gearbeitet hat, so klar ist die Idee der «Neubad»-Küche: «Wir wollen gar nicht so weit auf Suche gehen nach neuen Geschmäckern. Wir wollen Bewährtes neu interpretieren.»
Die Fasnachtsferien haben die Wiegands, die Eltern eines Sohnes sind, zu einer kleinen Deutschland-Tour genutzt und aus Hamburg und dem Ruhrgebiet ein paar Anregungen mitgebracht. Und sie haben einen Abstecher nach Baiersbronn in Roland Wohlfahrts Drei-Sterne-Tempel gemacht, wo Philipp Wiegand früher gekocht hat. Geändert hat sich nicht viel: «Old school», sagt er, «und das Langoustinen-Carpaccio war göttlich.»
Autor: Christoph Kieslich
Bild: Hans-Joerg Walter
Quelle: Tageswoche

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