Erst gierig, dann glücklich

Im schmucken Wetziker Bauernhaus ist ein neues Team am Ruder. Es brachte uns dazu, beim Hauptgang ungehobelt am Knochen zu nagen.
Ein grosses, saftiges Stück Fleisch mitsamt Knochen machte schon Fred Feuerstein und unsere steinzeitlichen Vorfahren froh. Nichts lag also näher, als der paläolithischen DNA zu gehorchen und im Casale die Hausspezialität, Bistecca fiorentina vom Holzkohlegrill, zu bestellen. Weil so ein kulinarisches Kunstwerk ein Weilchen brutzeln muss, wärmten wir unsere Kaumuskulatur eingangs mit zwei leichten Übungen auf: lauwarmem Polpo mit Rucola an Knoblauch-Kräuter-Vinaigrette (25 Fr.) auf der einen, Gnocchi mit Gorgonzolasauce und Radicchio (17 Fr.) auf der anderen Seite.
Der Tintenfisch war langsam gegart worden und geriet so zum zarten Vergnügen, benetzt von der auf Basis erstklassigen Olivenöls zubereiteten Vinaigrette und schön kontrastiert von den Orangenfilets, die sich als optische und geschmackliche Ergänzung neben den Rucolablättern tummelten. Ausgezeichnet auch die Kartoffelgnocchi: nur ein ganz klein wenig fester als die grandiosen Exemplare, die wir kürzlich im Italian Monkey in Zürich gegessen hatten, begleitet von einer intensiven, aber nicht zu aufdringlichen Sauce und abgerundet von der feinen Bitternote des geschmorten, dunkelroten Radicchiosalats. Dessen Vorzüge kommen im warmen Zustand noch besser zur Geltung.
Schon jetzt war klar: Das Casale hat sich mit der Umstellung auf klassische italienische Küche mit bodenständigeren Gerichten unter neuer Führung zwar von der Jagd nach Meriten im «Guide Michelin» verabschiedet, nicht aber vom hohen Qualitätsanspruch.
Grillgemüse als Statist
Dann kam unsere Bistecca fiorentina (800g/115 Fr.): Aussen knusprig und innen an gewissen Stellen so zart, dass die Gabel als Werkzeug genügte, beglückte sie uns mit jenen Röst­aromen, die rotes Fleisch nur von einem Holzkohlegrill bekommt. Mal mussten wir auch ein wenig mehr beissen, doch gerade das ist bei einer Bistecca ja der Spass. Die butterzarten wechseln sich mit durchzogenen Stellen ab, und auch der dicke Fettrand hat seine geschmacklichen Reize.
Salz hatte der Koch dankenswerterweise nur sehr sparsam verstreut, dafür lagen auf dem Fleisch etliche knusprig geröstete Kräuterzweiglein – Rosmarin, Thymian und Oregano. Das bis auf die zu harten Auberginen gelungene Grillgemüse war da natürlich nur Statist.
Dem Himbeer-Tiramisù (13 Fr.) fehlte es nach unserem Geschmack an einem hochprozentigen Akzent, wer es süss und harmonisch mag, wird mit diesem Dessert aber sicher zufrieden sein. Etwas nussiger und herber hätten wir das hausgemachte Haselnusseis (4 Fr.) erwartet.
Ach ja, die Gipsbüsten und die gerahmten Fotografien italienischer Sehenswürdigkeiten im ansonsten geschmackvollen Speisesaal gehören entweder in die Mülltonne oder in eine Touristenfalle, nicht aber in ein Restaurant dieser Klasse. Diese Irritation spülten wir mit einer sehr fair kalkulierten Flasche Sottobosco 2012 aus dem Tessin (79 Fr.) weg – einer saftig-samtigen Cuvée aus Merlot und Teilen Cabernet Sauvignon, Gamaret und Cabernet Franc.
Autor: Von Alexander Kühn
Quelle: www.zueritipp.ch

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