Geschüttelt, Gerührt, Geliebt

Gutsituierte Herren trinken Cocktails in edlen Hotelbars – dieses Klischee galt früher. Heute entdeckt das Ausgehvolk die Kunst des Spirituosenmixens – dank jungen, ambitionierten Bars rund um die Langstrasse.
«Spinnsch eigentlich?» Das wäre zwischen Albisriederplatz und Stauffacher lange die wahrscheinlichste Antwort auf die Bitte nach einem im Eichenfass gereiften Negroni oder einer Moscow Mule mit frischem Ingwer gewesen. Inzwischen aber hat sich im einstigen Bier- und Longdrinkgürtel eine Cocktailbar nach der anderen etabliert. In der Central Bar, im Dante, in der Bar 63 und im Raygrodski – überall wird ambitioniert geschüttelt und gerührt. Cocktails gehören nicht mehr nur zu den roten Lederpolstern im Widder oder hinter den diskreten Vorhang der Kronenhalle. Sie sind zum Volk gekommen, und das Volk kommt nun zu ihnen.
Am augenfälligsten ist der Zusammenprall von Cocktailkultur und Arbeiterquartier an der Zwinglistrasse 22. Mittendrin im Zürcher Rotlichtmilieu, ist durch die erleuchtete, schaufensterartige Front des Dante ein eleganter, mit Messing beschlagener Tresen zu sehen. Am Wochenende tummeln sich vor ihm allerdings oft so viele Gäste, dass er gar nicht mehr erkennbar ist. Hinter Ausgehvolk und Theke stehen Barkeeper mit selbst gebundenen Fliegen zum Hemd. Die Ästhetik – das zeigt sich hier beispielhaft – spielt bei Cocktailbars jüngeren Datums eine wichtige Rolle.
Das Red-Bull-Problem
Als das Dante im Februar 2011 seine Tore öffnete, haftete dem Konzept der klassischen Cocktailbar im Kreis 4 noch etwas Exotisches an. «Wir mussten bei den Gästen Aufklärungsarbeit leisten, ihnen, ohne dabei überheblich zu wirken, begreiflich machen, dass wir hier keinen Wodka mit Red Bull ausschenken», erinnert sich Alvaro Marangoni, eine der prägenden Figuren des Lokals. «Im ersten Jahr war ich schon zufrieden, wenn jemand einen etwas elaborierteren Gin Tonic mit einer besonderen Spirituose bestellte.»
Mit der Popularität dieses Longdrinks wuchs auch jene des Dante. Zunächst genoss es vor allem als Gin-Bar einen guten Ruf, spätestens ab dem dritten Jahr nahm die Nachfrage nach Cocktails aber stetig zu. «Ähnlich wie beim Essen, wo Elemente der Molekularküche heute recht verbreitet sind, gab es auch beim Cocktailtrinken den Prozess des Heranführens. Mittlerweile bestellen die Gäste auch am Wochenende mehrheitlich Cocktails und wissen ziemlich genau, was sie wollen», sagt Marangoni. «Früher kam es oft vor, dass jemand nur sagte: ‹Hey, ich möchte einen Cocktail.› Das ist ja ein wenig, als würde man im Restaurant bei der Bestellung sagen, man wolle etwas zu essen.»
Gin Tonic auf dem Rückzug
Yves Niedermayr, Geschäftsführer und Initiator des Raygrodski hinter dem Lochergut, glaubt, dass es in Zürich derzeit am Wochenende Platz für 30 Cocktailbars hätte. «Dieser Lokaltyp wird aus dem Nachtleben auch nicht mehr wegzudenken sein. Bei 30 solcher Bars würde sich aber irgendwann einmal die Spreu vom Weizen trennen. Je mehr die Leute von Drinks verstehen, desto anspruchsvoller werden sie auch», sagt er.
Bestellt werden im Raygrodski vor allem die Eigenkreationen von der liebevoll gestalteten Karte, auf der zu jedem Cocktail das passende Glas abgebildet und eine Beschreibung aufgeführt ist. «In einer Woche schenken wir vielleicht noch eine Flasche Hendrick’s für Gin Tonic aus», erklärt Niedermayr. «Die Gäste werden mit jeder guten Cocktailerfahrung zugänglicher für Neues oder Ungewohntes.»
Pascal Kählin von der Bar 63 an der Rolandstrasse teilt diese Einschätzung: «Heute bestellt mancher einen Aviation aus Gin, Maraschino, Veilchenlikör und Zitronensaft so selbstverständlich, als handle es sich dabei um eine Stange Bier. Vor zehn Jahren war ja schon ein Gin Tonic eine Sensation. Und als wir vor fünf Jahren die Bar 63 übernahmen, war es noch alles andere als üblich, frische Zutaten für Cocktails zu verwenden. Inzwischen pressen alle ambitionierteren Barkeeper Zitronen selber aus.»
Alleine vom berühmten Punch 63, der im tropisch anmutenden Keramikbecher aus dem früheren Zoorestaurant serviert wird, gehen am Freitag- oder Samstagabend schnell einmal 50, 60 Stück über die Theke. «Viele Gäste kommen wegen des Punchs», sagt Kählin und erzählt, dass sich in den Siebzigern unter seiner Vorgängerin der ?Mix aus Coca-Cola und Kirsch grösserer Beliebt­-?heit erfreute: «Und das schmeckt besser, als man denkt.»
Die Bar-63-Crew betreibt ein paar Schritte vom Lokal entfernt das Fachgeschäft J. B. Labat. Getreu nach Kählins Motto, dass sich eine gute Bar durch ein breites Angebot an Spirituosen von kleineren Herstellern auszeichne und nicht von einem einzelnen grossen Lieferanten oder Multi abhängig sein dürfe. Zu den Kunden zählen auch das Raygrodski, das Dante und die Central Bar hinter dem Helvetiaplatz. Central-Geschäftsführer Kaspar Fenkart betont die Wichtigkeit qualitativ hochstehender Brände, die inzwischen von der Kundschaft auch gebührend geschätzt würden: «Früher kannte man beim Gin nur Gordon’s oder höchstens noch Bombay. Und so kam es vor, dass einer sagte: ‹Jetzt verlangt ihr für einen Gin Tonic 17 Franken und benutzt dafür eine Marke, die kein Schwein kennt.›»
Leidenschaft ist das erste Kriterium
Fenkart und die anderen Barbetreiber gehen auch bei der Personal­auswahl eigene Wege. Nicht eine Ausbildung im Gastgewerbe ist ihnen wichtig, sondern Begeisterungsfähigkeit und die Bereitschaft, immer weiter an sich zu arbeiten. Massimo Garetti, Chef de Bar im Dante, war Zahntechniker, ehe er bei seinen häufigen Besuchen im Grande am Limmatquai, dem kleinen Bruder des Kreis-4-Lokals, zunehmend Gefallen an der gediegenen und doch modernen Interpretation der Gastronomie fand. Er sagt, dass man nur mit aussergewöhnlicher Leidenschaft Aussergewöhnliches hinbekomme. Die Drinks im Dante sind ein guter Beweis.
 
Quelle: Züri Tipp
Autor: Alexander Kühn
Bild: Züri Tipp

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