Wein: Leben in den Reben

Nahe bei Winterthur macht Stephan Herter filigrane Weine. Wer mit ihm durch den Rebberg schreitet, trifft auf eine vielfältige Flora und Fauna. Tiere prangen auch auf seinen Etiketten.
Stephan Herter steht mitten in seinen Reben. Kahlköpfig ist er, trägt einen markanten Bart, Sonnenbrille und ein Anker-Tattoo auf dem Arm. Er zeigt auf einen Zitronenfalter, der fast schwerelos über den grünen Hang flattert. Es war der Wunsch des Winzers, sich hier im Rebberg zu treffen, gerade mal zehn Busminuten vom Zentrum Winterthurs entfernt. «Es gibt hier auf dem Taggenberg über 50 Falterarten», erklärt er. «Verschiedene Vogelarten teilen sich diesen Lebensraum. Und in der Hecke dort drüben hat eine Zeit lang eine Fuchsfamilie gewohnt.» Hier wachsen die Trauben für seine Weine namens Kuckuck oder Rufus.
Doch was nützen die Füchse dem Wein? «Nichts», lautet Herters Antwort. «Aber sie beweisen, dass hier naturnah gearbeitet wird. Dass dieser Rebhang ­gesund ist.» Dies sei am Ende mehr wert als ­jedes Label, so der Winzer, der erst seit drei Jahren eigene Tropfen ausbaut. Schon ist man mittendrin in Herters Welt: Er verwendet keine Kunstdünger oder chemische Fungizide. Das Gras unter den Reben wird nur einmal pro Jahr mit der Sense geschnitten, einmal von ­Schafen abgegrast. Er achtet auf Mondphasen, benützt Tinkturen und Tees wie Brennnesselbrühe, verwendet auch Hornmist und Ähnliches.

Die grossen Chancen von Bio

Mit den Pflanzen spreche er zwar nicht, sagt Herter, er arbeite aber nach sogenannt biologisch-dynamischen Grundsätzen, was er auf den Weinen allerdings nicht auszeichnet. Entsprechende Logos seien vor allem Marketinginstrumente: «Da geht es darum, dem Kunden ein gutes Gefühl zu geben.» Ihm sei die Einstellung wichtig, er nehme die Pflanze ernst als Lebewesen. Dass er zumindest nicht alles falsch mache, habe sich im letzten Jahr gezeigt: Im Gegensatz zu vielen seiner Winzerkollegen habe er kaum mit der Kirschessigfliege, der Drosophila ­suzukii, zu kämpfen gehabt. Über den Rebberg fliegt ein Mäusebussard, als Herter seine steilste Lage zeigt. Hier kommt sein Vorzeigewein ­namens Ruprecht her, hier wachsen ­zwischen den teilweise über 40-jährigen Pinot-noir-Reben auch allerlei andere Pflanzen, mit denen er die sonst übliche Monokultur zu durchbrechen versucht: Zitronenthymian und Rosensträucher entdeckt man, Walderdbeeren, einen Pfirsichstrauch, aber auch Wacholder, der gern auf kargem Boden gedeiht.
Die knorrigen Weinreben, die bald schon wieder grün ausschlagen werden, haben ein stattliches Alter. Gepflanzt hat sie Herters Vorgänger Hans Herzog, der inzwischen in Neuseeland Weine keltert. Herzog führte früher nicht nur das Restaurant Taggenberg, er hat auch mit dem Weinbau auf der kalk- und sandsteinhaltigen Moräne begonnen. Sogar die «jüngsten» Rebzeilen sind über 35-jährig: Räuschling ist es, der neben Chardonnay, Sauvignon blanc und dem Pinot noir auch noch Platz findet auf den bescheidenen 2,7 Hektaren Land.
Dass Herter gerade hier bei Winterthur, wo er selbst herkommt, einen Rebberg gepachtet habe, sei nicht geplant gewesen. Erst nach seiner Kochlehre sei er zum Weinbau gekommen: «Ich träumte davon, meinen Namen mal auf einer Weinetikette zu lesen.» Deshalb sei er oft im Burgund gewesen, unter anderem habe er bei der kürzlich verstorbenen Winzerin Anne-Claude Leflaive, ­einer der Pionierinnen des biodynamischen Rebbaus, lernen können. Gern hätte er auch in der französischen Gegend gearbeitet: «Aber die Weinberge im Burgund sind definitiv zu teuer.» Er habe sich in anderen Regionen umgeschaut, «aber im Wallis hat man als Nichtwalliser keine Chance». Und in Südfrankreich wäre er, so meint der 35-Jährige, mit den «dicken Säften» wohl nicht glücklich geworden. Auf dem Weg zu seinem Haus macht Stephan Herter einen Zwischenstopp bei einem Landwirtschaftsschuppen. Dort öffnet er ein kleines, silbernes Zahlenschloss, schiebt das Tor zur Seite, tritt ins Innere. Erst nach ein paar Augenblicken begreift man, dass dies der Raum ist, wo seine Weine gekeltert werden. In einem «Haus im Haus», einem kubischen Holzkasten, stehen ein paar gefüllte Rotwein-Barriques, davor eine altmodische Abfüll­maschine und ein Entrappungsgerät. «Ich lasse den Weinen die Zeit, die sie brauchen», erklärt der Winzer. Damit meint er auch, dass er mit Spontanvergärung arbeitet und bei den Rotweinen gänzlich auf Temperaturkontrolle verzichtet. Sowohl der Chardonnay als auch der Pinot kommen unfiltriert in die Flasche: «Holz aalange», meint Herter, «bis jetzt ist noch nichts passiert.»

Die Ameise in Pöstleruniform

Nochmals ein paar Minuten dauert die Fahrt ins Wohnhaus Herters, ein ehemaliges Bauernhaus. Vor dem Riegelbau wachsen Obstbäume, stehen Hasenställe und grasen ein paar Heidschnucken. «Ich brenne verschiedene Obstbrände und mache meine Würste selber», sagt der Vater einer zweijährigen Tochter. Doch seien dies Hobbys, Geld müsse er mit den Weinen verdienen. Er habe Spass an seinem Beruf: «Ich darf mit coolen Leuten zusammenarbeiten.» Er meint damit nicht nur die «Knackis» oder die geistig behinderten Menschen, die er schon in den Betrieb eingespannt hat. Er meint auch den Grafiker Michel Casarramona, den man in Zürich etwa wegen seiner Illustrationen für die ­Matahari-Bar kennt. Für Herter hat er die Weinetiketten gestaltet, die unter anderem eine Ameise in Pöstleruniform zeigen. Die Namen der Abfüllungen sind übrigens Fabeln entnommen.
«Ich finde nicht, dass es meine Weine unbedingt braucht», sagt Herter. Man fragt sich da natürlich: Wie schmecken sie denn? Um sie zu degustieren, setzt man sich an einen einfachen Holztisch in der Stube des Winzers. Den paar ­Flaschen, die er bereits geöffnet auf den Tisch stellt, gibt der Jungwinzer erst noch ein wenig Zeit: «Auch die Weissen schmecken besser, wenn sie ein wenig wärmer geworden sind und geatmet haben», sagt er und giesst dann als Erstes den Räuschling ins Glas, den er Ferdinand nennt. Erst riecht man intensiv grüne Äpfel, am Gaumen schmeckt der Wein frisch, wirkt sehr lebendig und ­saftig: «In den ersten Jahren landete diese Sorte noch im Schaumwein von Urs Pircher», kommentiert Herter, «erst seit 2014 keltere ich sie separat.»
Als Zweites kommt der Kuckuck ins Glas, also sein Roséwein, den er im Saignéeverfahren herstellt. Will heissen, dass er dafür den frisch eingemaischten Pinot noir etwas «ausbluten» lässt und aus der abgezapften Flüssigkeit entsteht diese frische, von einer leichten Restsüsse ausbalancierte Spezialität. Sie vereint Aromen wie Erdbeere, Zitrone, Rhabarber und rote Äpfel: «Im Burgund gilt Rosé als echter Partywein», meint der Winzer. «Mit seinem Sweet-and-Sour-Stil ist das für mich quasi ein Riesling-Ersatz.» Wen wunderts, dass der Kuckuck sich gerade in Zürich in der Hofküche oder dem Fischers Fritz, zwei angesagten Restaurants, gut verkauft? Herter giesst vom exotisch riechenden, fast spritzigen Sauvignon blanc ­namens Rufus ein; dann von seinem erst kürzlich abgefüllten, sehr dunkelfarbigen Ruprecht 2013, einem burgundisch anmutenden Pinot noir, mit leichten Barriquearomen und runden Tanninen. Herter probiert mit, freut sich über Lob, formuliert da und dort aber auch selber Kritik, wenn ein Wein nicht ganz seinen Erwartungen entspricht: «Am meisten freut es mich, wenn es mir ­gelingt, mit einem Tropfen das jeweilige Jahr einzufangen», beantwortet er die Frage nach seinem Weinideal.
Gemeinsam ist Herters Weinen vor ­allem eines: die präsente Säure, die, wohlgemerkt, von intensiven Aromen und dem nötigen Körper aufgewogen wird. Was den Tropfen aus Winterthur Format und Lagerfähigkeit verleiht. Als wollte er genau dies beweisen, schenkt Herter nochmals einen Rufus ein, einen, den er bereits vor fünf Wochen entkorkt hat. Und er schmeckt so lebendig wie ein junges Reh, das durch einen Rebberg hüpft.
 
Quelle & Bild: Tagesanzeiger
 
 

Zurück zum Blog

Ähnliche Beiträge