Der Nationalstolz von Peru auf dem Teller

Perus gastronomischer Erfolg

In Peru wollen viele Jugendliche lieber Koch als Anwalt werden. Dies ist dem gastronomischen Boom zu verdanken. Der Erfolg mit dem Essen hat den Peruanern auch ein Stück Nationalstolz zurückgegeben.
Wie jeden Morgen hat Delia um vier Uhr früh das Haus verlassen, damit sie pünktlich um sieben Uhr in der Kochschule Pachacútec zum Unterricht erscheint. Die 21-Jährige nimmt den langen Schulweg gerne auf sich. «Pachacútec ist meine Chance», sagt sie, lächelt und konzentriert sich wieder auf das Schneiden der Zwiebeln. Delia will eine berühmte Köchin werden. «Ich will in Kochbüchern erscheinen und eine Restaurantkette eröffnen.»

Kaderschmiede Pachacútec

In der Küche von Pachacútec herrscht schon frühmorgens emsiges Treiben. Es duftet nach Chili und Koriander, Knoblauch und Zwiebeln. Die rund 20 Kochschüler, alle in perlweisser Arbeitskleidung samt Kochschürze und Hütchen, bereiten das vorgegebene Menu zu. Heute ist Javier ihr Lehrer. Er läuft von Kochstation zu Kochstation und gibt den jungen Lernenden Tipps. Javier kocht normalerweise in einem Restaurant in einem Nobelquartier von Lima. Er hat sich freiwillig dazu verpflichtet, einmal im Monat nach Pachacútec zu fahren und die Kochschüler zu unterrichten. «Am Anfang hatte ich Angst vor der Aufgabe», gibt Javier zu, während er die Hände an seiner Schürze trocknet. Mittlerweile hat er aber in seine Rolle als Lehrer hineingefunden. Locker und doch mit einer gewissen Autorität führt er durch den Unterricht. «Kochen ist kreativ. Die Schüler lernen nicht von mir, wir lernen voneinander», sagt er und kostet eine Sauce.
In Pachacútec unterrichten nur Profiköche aus den renommierten Gasthäusern von Gastón Acurio. Acurio hat die Stiftung Pachacútec ins Leben gerufen und stellt das Lehrpersonal. Im Turnus unterrichtet dieses die jungen Menschen, die aus sozial vernachlässigtem Umfeld kommen. Für viele von ihnen sei Pachacútec die einzige Möglichkeit, eine Kochausbildung zu machen, erklärt die Schuldirektorin Karina Montes. Alle anderen Kochschulen sind in privater Hand und verlangen Gebühren, die nur Familien aus oberen Gesellschaftsschichten zahlen können. 500 Jugendliche bewerben sich pro Jahrgang. Nach einem strengen Ausscheidungsverfahren werden rund 20 Schüler zugelassen. «Ihr Einsatz ist unvergleichbar mit jenem der Auszubildenden von Privatschulen», meint Montes, die vorher in einer solchen arbeitete. «Hier geben sie alles.»

Nur das Nötigste

Pachacútec befindet sich im gleichnamigen, von Armut gezeichneten Vorort Limas. Der Weg vom Zentrum Limas dorthin gleicht einem Labyrinth. Er führt auf Sandstrassen durch heruntergekommene Armenviertel, die etwas erhöht über der Hauptstadt liegen und in dichten Nebel eingepackt sind. Aus dem Nichts erscheinen plötzlich die geduckten, aus rotem Backstein bestehenden Schulgebäude. Sie sind auf Sanddünen gebaut. Küchengeräte wie Ofen und Gasherde sind in dem Unterrichtsraum vorhanden. Nach einer Geschirrspülmaschine oder einem Steamer sucht man aber vergeblich, man kommt hier mit dem Nötigsten aus. Die Mittel sind begrenzt. Die wichtigsten Zutaten werden darum auch von einem grossen Lebensmittelgeschäft gespendet.
Doch die Statistiken bestätigen, dass die Ausbildung in Pachacútec eine rosige berufliche Zukunft in den Gourmetküchen Perus verspricht. Und so, wie diese seit einigen Jahren im Aufkommen sind, steigt auch die Nachfrage nach gut ausgebildeten Köchinnen und Köchen.
Der um die Jahrtausendwende einsetzende Gastronomie-Boom hat in Peru dazu geführt, dass der Kochberuf ein hohes Ansehen geniesst. Viele Jugendliche wollen heute lieber Koch als Anwalt werden, selbst in den obersten Gesellschaftsschichten. Der Boom hat eine neue Dynamik ausgelöst: Peruanische Restaurants schiessen wie Pilze aus dem Boden, Kochschulen werden eröffnet, in Buchhandlungen sind haufenweise Publikationen über die Herkunft der Gastronomie, aber auch Rezeptbücher zu finden.
Selbst auf dem Markt ist der Einfluss des Booms spürbar. Einfache Stände werben mit «Gourmet-Essen aus nachhaltigen Produkten». Sechs der zwanzig besten Restaurants Lateinamerikas befinden sich in Lima, einige von ihnen gehören zu den renommiertesten der Welt. Im Ausland nimmt deren Anzahl auch stetig zu. Die Hauptstadt Perus beherbergt zudem mit «Mistura» die grösste Gastronomiemesse des Halbkontinents. Jedes Jahr lockt diese Hunderttausende von Besuchern an.

Mehr Rockstar als Koch

Perus Aufbruch in die Welt der kulinarischen Kunst wurde von verschiedenen Persönlichkeiten geprägt. Schlüsselfigur dieser Entwicklung ist aber zweifellos Gastón Acurio. Der Starkoch und Unternehmer ist so etwas wie der Rockstar der Szene. Der Mittvierziger besitzt über 40 Restaurants, die auf der ganzen Welt verteilt sind. Er hat es sich zum Ziel gemacht, Perus Küche zu vermarkten und zu exportieren. Das tut er mit Leidenschaft. Acurio ist mittlerweile wohl die berühmteste Person Perus. In der Zeitung, im Fernsehen, auf Werbeplakaten – sein Gesicht ist omnipräsent, sein Name eine Marke. Seine Auftritte und Reden locken Tausende an, die ihm zuhören und ein Autogramm von ihm wollen. Seine Haltung und sein Schaffen inspirieren Köche, Gastronomen und andere Unternehmer. Nicht wenige Peruaner wünschen sich sogar Acurio als nächsten Präsidenten.
«Das wird sicher nicht passieren», sagt er mit spöttischem Unterton, als er in seinem Büro in Barranco, dem hippen Viertel Limas, darauf angesprochen wird. Er lacht und schüttelt seine schulterlangen dunklen Haare. Acurio ist ein lässiger Typ und ein durchaus überlegter Mensch, der dem Gastronomie-Boom einen politischen Diskurs gegeben hat. Während andere von einer Revolution in der kulinarischen Geschichte sprechen, versteht Acurio den Boom als eine Bewegung, die sich aus der konfliktreichen Vergangenheit des Landes herausentwickelt hat. Nach dem über Jahrzehnte herrschenden Autoritarismus, dem darauf folgenden Terrorismus des Sendero Luminoso und der Hyperinflation in den achtziger Jahren sei nun eine Generation am Ruder, die etwas aus ihrem Land machen möchte. Die Gastronomie sei zum Motor dieser Veränderung geworden. «Sie hat den Peruanern ein Stück Nationalstolz zurückgegeben», sagt Acurio.
Wer Peru besucht, weiss, von welchem Stolz er spricht. Man isst hier nicht nur hervorragend, man wird auch konstant auf das Essen angesprochen und aufgefordert, dies oder jenes zu probieren. Besonders stolz ist die Bevölkerung auf die Biodiversität, die auf die verschiedenen in dem Andenland herrschenden Mikroklimas zurückzuführen ist: Exotische Früchte aus dem Amazonas, mehr als 4000 Kartoffelsorten aus dem Andengebiet, Hunderte von Fischarten und Meeresfrüchten, aber auch für den westlichen Gaumen sonderbares wie grillierte Meerschweinchen oder Alpakas.
Peru

Die Schüler von Pachacutec nehmen meist lange Schulwege auf sich. Eine Ausbildung hier lohnt sich: Viele von ihnen kochen danach in den besten Gaststätten Limas. (Bild: Martin Mejia / AP)

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Die Chance ihres Lebens: Die Kochschule Pachacutec ermöglicht jungen Menschen mit wenig finanziellen Ressourcen eine gute Ausbildung. (Bild: Martin Mejia / AP)

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Die aus rotem Backstein gebauten Räumlichkeiten der Schule Pachacutec stehen auf Sanddünen etwas ausserhalb von Lima. (Bild: Nicole Anliker / NZZ)

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 Vom Gastro-Boom angesteckt: Viele junge Peruaner und Peruanerinnen wollen heute Koch werden. (Bild: Martin Mejia / AP)

 
Quelle: nzz.ch
Autorin: Nicole Anliker, Lima
Bild: Bild: Ana Nance / Redux / Laif

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