Kochen mit Erde

Drei Männer, eine Mission: Wissenschaftlich nehmen Fritz Treiber und Helmut Jungwirth von der Universität in Graz den Dreck in die Hand. Koch Rolf Caviezel setzt das Projekt praktisch um. Eine unsaubere Challenge.
Blumenerde habe ich etwas voreilig in der Küche ausprobiert und dann stundenlang auf dem WC bereut“, witzelt der Schweizer Koch Rolf Caviezel. Der Mikrobiologe Fritz Treiber schüttelt mit hochgezogenen Augenbrauen den Kopf: „Kein Wunder! Blumenerde wird mit Klärschlamm gestreckt.“ Fritz Treiber, der Projektleiter des Geschmackslabors an der Grazer Karl-Franzens-Universität, arbeitet seit sechs Jahren mit Rolf Caviezel, dem experimentierfreudigen Koch und Inhaber des Unternehmens Freestylecooking, zusammen. Professor Helmut Jungwirth, der wissenschaftliche Leiter des Geschmackslabors, und Treiber haben damals den Entschluss gefasst, der breiten Öffentlichkeit die Wissenschaft näher-zu-bringen. Und wie geht das am einfachsten? Indem sie Laien probieren, anfassen und kosten lassen. Deshalb stand schnell fest: Die molekularen Techniken in der Küche eignen sich perfekt, um physikalische, biologische und chemische Zusammenhänge im wahrsten Sinne schmackhaft aufzubereiten. Die beiden Wissenschaftler kauften einige Kochbücher zum Thema und waren von Caviezels Buch sofort überzeugt: „80 bis 90 Prozent der Rezepte funktionierten auf Anhieb.“ Deshalb luden sie ihn kurzerhand beim nächsten Event 2009 als Referent zum Thema molekulare Kochtechniken ein. Das war der Beginn der Zusammenarbeit zwischen der Theorie im Labor und der Praxis in der Küche.
Erdige Ideen
Wie man auf die Idee komme, mit Erde zu kochen? „Wir sind bei einer Veranstaltung zur japanischen Küche im April 2014 über einen Koch gestolpert, der in einem Video seine Experimente mit Erde als Lebensmittel machte.“ Das wissenschaftliche, wissbegierige Hirn fängt bei solchen Experimenten sofort an zu rattern: Was für Erde ist das? Ist die Erde bearbeitet? Was ist mit Schwermetallen oder Bakterien? Wie schmeckt das? Einige Wochen später trafen die ersten Erdenproben aus der Schweiz in Graz ein und heute existieren mehrere Kooperationen mit anderen wissenschaftlichen Instituten wie aus der Hygiene und Chemie. Außerdem arbeitet eine Diplomandin an dem Thema und die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen sind im Herbst 2015 geplant. „Bei so einem kleinen Team ist es einfacher, schnell und flexibel zu arbeiten“, erklärt Jungwirth. Die wissenschaftliche Seite ist also abgedeckt: Treiber, Jungwirth und einige andere Laboranten kümmern sich darum, dass niemand mehr die Verwendung von Erde als Lebensmittel auf der Toilette büßt.
Erde zu essen, heißt in der Wissenschaft Geophagie und ist bei vielen Naturvölkern normal. Nicht umsonst gibt’s den Spruch „Dreck reinigt den Magen“. Wieso Erde als Lebensmittel genutzt wird? „In der Erde sind viele Mineralstoffe enthalten. Primaten führen sich über den Erdverzehr Salz zu. Aber auch Eisen, Kupfer und Zink sind darin enthalten“, erklärt Treiber, „es gibt allerdings eine sehr kontroverse Studienlage. Manche von ihnen behaupten, belegen zu können, dass die Mineralstoffe dem Körper zugeführt werden. Andere behaupten, dass die Mineralstoffe eher entzogen werden.“ Andererseits werden bestimmte Heilerden schon seit Jahren unter dem Credo der Darmgesundheit vertrieben. Allerdings ist es den drei Tüftlern sehr wichtig, dass ihre Herangehensweise seriös und fundiert ist. „Wir wollen auf der einen Seite die Sinne für neue Geschmackserlebnisse öffnen und gleichzeitig das Bewusstsein für die Chemie, Biologie und Analytik schärfen.“
Eine Frage des Geschmacks
Caviezel arbeitet derweil an Rezepten und klügelt die Verwendung der Erde aus: „Es ist möglich, Erde als Gewürz zu verwenden. Dann unterstreicht es in Gerichten mit Zutaten aus der Erde wie Kartoffeln, Rüben, Karotten und Kohl den Geschmack und verstärkt das erdige Aroma der Gemüsesorten.“ Der für den europäischen Gaumen neue Geschmack entwickelt sich mit diesen Zutaten besonders gut. „Als Sud kann sie aber auch als Basis für Suppen und Eintöpfe oder als Geschmacksverstärker in Pürees aus erdigen Gemüsesorten dienen.“ Aber die Erde ist nicht nur bodenständig einsetzbar. In Kombination mit Schokolade oder Eis kann sie in der ganzen Lebensmittelpalette eingesetzt werden. Die Herangehensweise erinnert an Food Pairing, bei dem einzelne Aromastoffe hervorgehoben, kombiniert und harmonisiert werden. „Vergiss den süßen Geschmack der Roten Rübe und du weißt, wie Erde als Gewürz schmeckt“, versucht Treiber den Geschmack zu beschreiben. Erdig eben. Mehr Adjektive ohne negativen Beigeschmack gibt’s dafür nicht. Der negative Beigeschmack bleibt aber definitiv aus, wenn der krümelige Pumpernickel in Kombination mit der Erden-Karamell-Sauce auf der Zunge eine Aromaexplosion auslöst.
 
Quelle: www.rollingpin.at
Fotos: Tonia Bergamin

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