Schweizer Bier: Nicht von der Stange

Die Schweizer Braulandschaft ist so vielfältig wie seit 100 Jahren nicht mehr. Ein kleiner Augenschein.
Belgien macht es den zivilisierten Biertrinkern vor. Wohl kein Land der Welt hat eine gepflegtere und spannendere Bierkultur als die Belgier. Wer Gerstensaft liebt, wird sich in Flandern im Paradies wähnen. Ohne Jungfrauen, dafür mit Hopfen und Malz. Die Zahlen der Region beeindrucken. Mehr als 100 Brauereien produzieren zwischen 500 und 1000 Biersorten.
Und die Schweiz? Da versuchen die grossen Brauereien mit Spezialbieren ihre schrumpfende Kundschaft bei Laune zu halten. Denn was sich bei den Eidgenossen in Sachen Bier verändert hat, ist enorm. Dabei war es noch vor Jahrzehnten ums heimische Bier schlecht bestellt. Unzählige Brauereien verschwanden, gaben auf oder wurden von den Grossen geschluckt. Bis dem Schweizer Biertrinker sein Alltagsbier zu schal, zu flach, zu einfach wurde. Heute bevorzugt eine neugierige, stetig wachsende Bier-Gemeinschaft Klasse statt Masse.
«Es lebe die Biervielfalt» – das haben sich nicht nur unzählige Klein-, Mikro- und Hausbrauer auf ihre Fahne geschrieben. Auch der untypische Bierkonsument, der noch nie etwas mit dem Einheitsgerstensaft anzufangen wusste, freut sich über die Vielfalt der Spezialitätenbiere, die sich heute perfekt in die Küche der Spitzengastronomie einbinden lassen. So erstaunt es nicht, dass in diversen Restaurants die ausgebildeten Biersommeliers auf Augenhöhe mit den Weinsommeliers stehen. Daniel Reuter, Präsident der GFB, der Gesellschaft zur Förderung der Biervielfalt bringt es auf den Punkt: «Bier schafft Heimatgefühl.» Und wer will seine Heimat nicht im Gaumen spüren? Eben. So treffen sich jeden ersten Montag des Monats die Bierfreunde der GFB in der «Brasserie Federal» im Zürcher Hauptbahnhof, was eine exzellente Gelegenheit für neugierige Frischlinge ist, die Gesellschaft und einige ihrer rund 300 Mitglieder kennenzulernen. Wer zuerst einmal abwarten will, studiert vorerst die interessante Website oder abonniert die Bier Zeitung der GFB.

Der Ausverkauf der Heimat

Wer sich mit der Thematik «Ausverkauf der Heimat» beschäftigt, sucht diese in der Zeitung in der Sparte Politik oder er kauft sich gleich das Hausblatt der SVP. Das sieht CVP-Nationalrat und Braumeister Alois Gmür etwas anders. «Die Welt ist globalisiert, viele Dinge sind heute austauschbar, nicht aber die Symbole der Heimat, zu denen auch das lokale Bier gehört», sagt der Teilhaber der Brauerei Rosengarten in Einsiedeln und Präsident der Interessengemeinschaft Klein- und Mittelbrauereien. Dass die Brauerei Rosengarten auf dem richtigen Weg ist, zeigt ihre kontinuierliche Produktionssteigerung. Sehr stark bekam sie das vor einigen Jahren zu spüren, als Heineken in Luzern Eichhof übernahm und zahlreiche frustrierte Eichhof-Biertrinker eine regionale Alternative suchten und sie in Einsiedeln in der Biervielfalt der Brauerei Rosengarten fanden.
«Bier verursacht viel mehr Emotionen als Wein», sinniert Daniel Nüesch, der in Basel wundervolle Spezialitätenbiere (Ale, Kirschenbier, …) braut. Und «Bier von hier statt von dort» ist der Slogan von Unser Bier, einer weiteren erfolgreichen Kleinbrauerei an der Rheinstadt. «Bier braucht Heimat» heisst wiederum die Geschäftsphilosophie der Berner Burgdorfer Gasthausbrauerei.
Und ja, Bier regt die Sinne an. Das verdeutlichen auch die Schweizer Hobbybrauer, die eine sympathische Plattform für Brau-Amateure bieten.
Eine weitere Vereinigung ist der Verein der Swiss Homebrewing Society, kurz SHS, dessen Präsident Ueli Schläpfer würzige Biere im Puschlav braut. Nur, da reden alle von Heimat und der Verein der Schweizer Hausbierbrauer verpasst sich einen englischen Namen. Wie auch immer. Die SHS ist ein Verein zur Förderung des Heimbrauens in der Schweiz, zählt rund 200 Mitglieder und bietet eine Plattform für den Erfahrungsaustausch. Alljährlich findet eine vereinsinterne Bierprämierung statt. An diesem Anlass kann jedes Mitglied sein Eigenbräu profilierten Juroren zur kritischen Prüfung vorsetzen. Dieser Anlass wird auch rege genutzt, um Kniffe und Tricks auszutauschen. Schon manche Idee für ein Siegerbier vom nächsten Jahr wurde im Anschluss an eine solche Prämierung geboren.
«Bier ist nur von der Kreativität und dem Qualitätsdenken des Brauers limitiert», sagt Claude Degen von Degen Bier aus Trimbach bei Olten, dessen Bier 2011 zum Schweizer Bier des Jahres auserkoren wurde.
Das etwas lange Fazit: Dass sich die Schweiz wieder über eine Biervielfalt erfreuen kann, hat sie Persönlichkeiten zu verdanken, die vor Jahrzehnten den Mut hatten, neue Wege zu gehen. Mit ihrem Enthusiasmus und ihrer Innovation für die Biervielfalt haben sie Emotionen und einen Boom ausgelöst, der bis heute anhält. Dazu gehören neben verschiedenen Persönlichkeiten ganz sicher Hans-Jakob Nidecker, der bereits in den Siebzigerjahren das Bierkartell nicht akzeptierte und sein eigenes Bier in der Basler «Fischerstube» braute, aber auch und vor allem Martin Wartmann von der Brauerei Kloster Fischingen, mit seinem barocken Biergenuss, oder Réne Kündig vom Kündig Bräu in Rietheim, der mit seinem Rauchbier unter Kennern für Furore sorgt.
Sie alle sind Teil eines trinkfreudigen Qualitätsdenken jenseits von Carlsberg, Heineken und Co. Gut so, schön so. Merci und Chapeau!
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Quelle: falstaff
Autor: Martin Jenni
Bild: bierversuche

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