René Gabriel – "Rien ou bien"

René Gabriel ist mit grosser Wahrscheinlichkeit allen Weinliebhabern bekannt. Er gilt als Weinpapst der Schweiz und ist der einflussreichste Weinkritiker Europas. Wir wollen wissen, wer dieser Mann ist und woher seine grosse Passion stammt. Deshalb reisen wir an einem Frühlingstag ins luzernische Eschenbach wo der 58 Jährige zusammen mit seiner Frau Karin wohnt. In der 3’500 Seelengemeinde angekommen, müssen wir gar nicht lange nach der genauen Adresse suchen, denn sein Name klebt in grossen Lettern an einer Fensterfront im Dorfkern. Die ehemalige Metzgerei haben Gabriels in zwei Jahren zu einem schönen Wohnhaus umbauen lassen.
Wir drücken auf die Klingel und kurz darauf tritt der so genannte Weinpapst aus der Eingangstür und begrüsst uns freundlich. Schon nach der Frage, ob wir zuerst in der Wohnung einen Kaffee trinken oder direkt in den Weinkeller möchten, sind wir sicher, dass es eine spannende aber auch sehr unterhaltsame Verabredung werden wird. Da die Kirchenglocke erst gerade zehn Mal geschlagen hat, entscheiden wir uns für den Kaffee und lassen den Weinkeller noch etwas warten. So führt uns René Gabriel in sein chic eingerichtetes Wohnzimmer das auch gleich als Büro dient. Findet er Zeit, spielt er auch gerne ein paar Runden am nostalgischen Flipper Kasten der ebenfalls hier steht. René nimmt auf seinem Ledersessel Platz. Hinter ihm hängt ein grosses Bild von seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern.
Aufgewachsen in Ennetbürgen, kam René nur selten in Kontakt mit Wein. Seine Eltern besassen zwar ein Restaurant, waren selber aber keine grossen Weintrinker. Ab und zu, wenn er seiner Mutter im Service mithelfen durfte, kam es gar vor, dass er den Gästen den Wein ausschenkte. Nach der Schule entschied sich der junge René zu einer Lehre als Koch und konnte im Château Gütsch in Luzern an einer renommierten Stelle die Ausbildung beginnen. Nach erfolgreichem Abschluss stand er vor der Entscheidung sich im Kochberuf weiterzuentwickeln oder sich einer anderen Beschäftigung zu widmen. So ganz sicher, ob ihn der Kochberuf vollumfänglich erfüllt, war er sich nicht. So schlug er vorerst eine ganz andere Richtung ein. Er startete mit zwei Freunden als Musikertrio durch und rannte von Auftritt zu Auftritt. Im Rekordjahr verbuchten sie ganze 220 Vorstellungen.
rene gabriel
Mit 25 Jahren passierte der magische Moment – ein Erlebnis, dass ihn für immer in den Wein-Bann zog. Zusammen mit einem Kollegen betrat er ein Restaurant und bestellte einen Wein zu einem schön gefüllten Fleischplättli. Der Wirt schenkte den Beiden einen Château Palmer des Jahrgangs 1970 ein. Dies war der Anfang von René Gabriels Weingeschichte. Zu diesem Erlebnis hielt er fest, dass er ohne Zähneputzen zu Bett ging, weil er den Geschmack dieses wunderbaren Weines mit in die Träume nehmen wollte. Die Faszination Bordeaux liess ihn seitdem nicht mehr los. Es ist schon erstaunlich, dass der Mittzwanziger schon damals die Idee hatte Events zu organisieren und diese dann auch gleich in die Tat umsetzte. Mit dem erwähnten Kumpel kaufte er dann verschiedene 71er Bordeaux, verschickte Einladungen an Bekannte und konnte mit 16 Anmeldungen den ersten Event durchführen. Seine Erlebnisse und Degustationsnotizen hielt er auf Papier fest und bewahrte diese in einer Kartonkiste auf.
Es zeichnete sich also schon früh ab, dass hier ein grosser Weinfreak heranwächst. Trotzdem setzte er damals noch nicht alles auf diese Karte. So übernahm er im Jahr 1986 das Restaurant Kreuz in Sempach. Natürlich füllte Gabriel auch hier den Keller mit den besten Flaschen, so, dass das Kreuz schon bald einen der grössten Restaurant-Weinkeller der Schweiz hatte. Aber auch Gabriels Kochkünste wussten zu überzeugen. Dafür wurde er sogar mit 13 Punkten im Gault-Millau ausgezeichnet. Ueli Prager, der 1948 in Zürich das erste Mövenpick Restaurant eröffnete, kontaktierte René Gabriel wenige Jahre später und motivierte ihn für Mövenpick zu arbeiten. Nach reiflicher Überlegung, wurde im Jahr 1990 aus dem Gastronom, der Chef-Einkäufer der Weinkeller von Mövenpick.
rene gabriel
Im selben Jahr veröffentlichte er sein erstes Buch unter dem Namen „Bordeaux à jour“. Die Idee dazu kam ihm, als er seine mit Degustationsnotizen vollgestopfte Kartonkiste begann zu sortieren und dabei realisierte, dass sich über die Jahre eine riesige Datenbank an Kommentaren und über 3’000 Bewertungen angehäuft haben. Weitere Bücher folgten. Sein bekanntestes Werk heisst “Bordeaux Total” und bietet dem Leser auf über 700 Seiten spannende Wein-Geschichten und unzählige Degustationsnotizen. Ebenfalls verhalf er der Académie du Vin Suisse zu neuem Schwung. Früher leitete er für die Académie Kurse und hielt Referate. Heute beschränkt er sich auf Weinreisen ins Bordeaux. Interessierte haben die Möglichkeit, zusammen mit ihm, verschiedenen Weingüter kennenzulernen, einen Blick ins Innere der Weinschlösser zu werfen und die Produzenten zu treffen. Die Reisen finden zwei Mal jährlich statt.
René ist ausserdem Mitbegründer der Zeitschrift Weinwisser. Das monatlich erscheinende Magazin bewertet seit 1992 Weine, stellt Weingüter vor und berichtet über Markttrends. Schon kurze Zeit nach der Lancierung zählte das Magazin knapp 800 Abonnenten und wuchs stetig an. 2007 verkaufte er seine Anteile an einen deutschen Verlag, engagiert sich jedoch weiterhin für dessen Inhalt.
Ein weiteres Engagement pflegt der Tausendsassa bei der Weinbörse. Als Geschäftsleiter organsiert er und sein Team drei Mal Jährlich eine Versteigerung. Eine super Gelegenheit für Weinliebhaber an gereifte oder seltene Flaschen zu kommen. Private Sammlungen oder einzelne Flaschen können dabei ebenfalls zur Versteigerung angeboten werden.
rene gabriel
Durch die vielen Projekte und angetrieben von neue Ideen, kündigte Gabriel den Chef-Einkäufer-Posten bei Mövenpick im Jahr 2005, wobei er der Firma als kompetenter Berater weiterhin zur Seite steht. Dies vor allem wenn es darum geht die Bestellung für die jüngsten Bordeaux Jahrgänge zusammenzustellen.
Seit seiner Selbständigkeit organisiert er jedes Jahr unzählige Events und wird für Anlässe als Referent gerne engagiert. Auf seiner Website sind bereits bis ins Jahr 2017 Veranstaltungen eingeplant. Sehr beliebt und jeweils früh ausgebucht ist der Mouton-Memory-Abend im Old Swiss House in Luzern, der jährlich im Januar stattfindet. Die Teilnehmer dürfen sich auf ein tolles Essen mit 20 Rothschild-Weine freuen – einige Château Mouton Rothschild Exemplare natürlich inklusive. Ausserdem kann man mit René auf Reisen gehen, zum Beispiel nach Südafrika mit den traumhaften Weingebieten oder in das nähergelegene Tessin, wo die Tore der Weingüter Vinattieri und Castello Luigi für die Teilnehmer geöffnet werden. Wenn man sich den Event-Kalender anschaut und das übrige Engagement berücksichtigt, verwundert es nicht, dass die Koryphäe nur an knapp 85 Tagen im Jahr unter seinem eigenen Dach in Eschenbach verweilt.
rene gabriel
Die jüngste Erfolgsgeschichte startete im Jahr 2010. Auf der langen aber erfolglosen Suche nach dem perfekten Weinglas, welches er für seine Proben einsetzen kann, entschied er sich zur Herstellung eines eigenen Glases. Innerhalb von nur gerade neun Monaten Entwicklungszeit war es geboren: das Gabriel Glas. Ein Glas, dass sich für alle Weinsorten verwenden lässt. Es ist in zwei Ausführungen erhältlich. Ein Standard-Glas und die unglaublich leichte (90 Gramm), mundgeblasene Gold-Edition. Das Glas findet rund um den Globus anklang, Australien, Japan, USA, England oder auch in Thailand. Zusätzlich im Sortiment vertreibt er Trinkgläser sowie Wasserkaraffen und neuerdings auch einen Dekantierer. Auch wir setzen seit Jahren auf das Gabriel-Glas und können es wärmstens empfehlen.
Seine analytischen Fähigkeiten in Sachen Wein sind beeindruckend. Er speichert sich die Erlebnisse mit einem Wein und weiss bei einer späteren Begegnung was ihn erwartet. So kann er den Reifeprozess sehr gut beobachten und einschätzen. Den Degustier-Prozess hat er sich über die Jahre regelrecht verinnerlicht. Er wird dabei zu einer unaufhaltbaren Maschine. Er füllt sich das Glas, riecht daran und entscheidet innert Sekunden ob er den Wein weiter degustiert. Falls ja, nimmt er einen kleinen Schluck in den Mund und entscheidet innert Sekunden ob er über den Wein schreibt. Falls die Qualität seinen Ansprüchen genügt, beginnt er gleich zu tippen, gleichzeitig setzt er den Degustationsprozess fort bis er mit der Notiz fertig ist und den Wein schliesslich wieder ausspuckt. So schafft er es, einen Wein in nur 30 Sekunden degustiert, kommentiert und bewertet zu haben. Das sei Schwerstarbeit, so Gabriel. So hat er bei der Präsentation der Jahrgänge 2010, welche in Zürich auch von Privatpersonen besucht werden konnte, 96 Bordeauxweine innert 280 Minuten bei den Anbietern geholt, degustiert, kommentiert und bewertet.
rene gabriel
Sein Jahreshighlight sind die Bordeaux Primeur-Proben. Immer im März / April pilgern Journalisten, Kritiker und Händler nach Bordeaux um die neusten Erzeugnisse der Châteaus zu probieren. So auch René Gabriel, der seit 1984 jährlich an den Proben teilnimmt. Es können bis zu 1‘000 Fassmusterproben sein und das innerhalb von zwei Wochen. Dass man hier Profi sein muss, liegt auf der Hand. Jeder Wein, der eine genügende Qualität mitbringt, wird beschrieben. Zudem gibt der Bordeaux-Profi jeweils seine Einschätzung zur Trinkreife ab und nennt die Kauftipps. Hinzu kommt seine Meinung über den Jahrgang. Natürlich dürfen auch die spannenden Erlebnisberichte während seines Aufenthalts nicht fehlen. Diese Arbeit ist dann kurze Zeit später auf seiner kostenpflichtigen Internet-Plattform bxtotal.com einsehbar. Bordeaux Total Online entstand als Ersatzprodukt für seine Bücher. Ein grosser Vorteil für den Abonnenten – abgesehen von der schon bereits riesigen Datenmenge an Verkostungsnotizen und Berichte über Erlebnisse sowie Events – sind die unterjährig veröffentlichten Berichte und die stets aktuelle Datenbank.
Gabriel kategorisiert die Weine mit Punkten. 20 ist die Höchstnote und steht für einen “Jahrhundertwein”. So wie es bei Gabriel keine halben Sachen gibt, gibt es auch keine halben Punkte. Im Gespräche stellt man zudem schnell fest, dass er von seiner Arbeit überzeugt ist und genau weiss was er tut und was er will. Wenn er sich für eine Sache einsetzt, dann zieht er das Ding durch, ganz nach seinem Lebensmotto „bien ou rien“.
rene gabriel
Die Frage, ob es ihm noch nie zuviel geworden ist und er den Wein nicht mehr sehen konnte, verneint er uns. Es gab aber eine Phase bei der er merkte, dass er sich aneignen muss, sich bei einem Wein, der ihm besonders gefällt, zurückzuziehen und diesen ganz bewusst wahrzunehmen. Wir spüren, seine Liebe zum Wein ist gross und er geniesst es ungemein sich dem Thema zu widmen. Aber auch sonst ist er durch und durch ein Genussmensch. Wenn er alleine zu Hause ist, dann organisiert es sich zum Beispiel ein 500 Gramm Hohrückensteak und bereitet sich ein schönes Menü zu. Beim Essen geniesst er dann die Ruhe, kein Radio oder Fernseher läuft. Er fällt, wie er es bezeichnet, in das “Gabrielsche-Loch”, er fokussiert sich auf die Ruhe, das Fleisch, die Geschmäcker und Düfte.
Nach dem Gespräche über seine bisherige Laufbahn, machen wir uns mit dem Lift auf den Weg in den Weinkeller. Unten vor der Tür angekommen fragt uns Gabriel ob wir bereit seien. Ohne die logische Antwort abzuwarten, tippt er den geheimen Code im Sicherheitssystem ein und lässt uns sein Heiligtum betreten. Vor unseren Augen offenbart sich ein wahrer Schatz mit hunderten schön gestapelten Holzkisten aus dem Bordeaux. Es ist unglaublich, sowohl von der Menge als auch von der Qualität. Wir finden hier unten alles. Von der ganz kleinen Flasche bis zum 6 Liter Petrus in Originalholzkiste. Sogar ein 47er Cheval Blanc versteckt sich hier unten. Daneben unzählige Heitz Martha’s Vineyard, Penfold’s Grange, diverse Schweizer Erzeugnisse, Hektoliterweise Bordeaux und vieles mehr. Wir könnten hier unten noch Stunden verbringen doch der päpstliche Bordeauxbauch knurrt. Ein Blick auf die Uhr offenbart, dass bereits Zeit fürs Mittagessen ist. René Gabriel ist ein bodenständiger, offener Mensch, ein begnadeter Rhetoriker und eine humorvolle Persönlichkeit. Durch das spannende Gespräch verging der Morgen wie im Fluge.
Zu dritt pilgern wir zum nahegelegenen Italiener. So viele Weine anzuschauen macht gewaltig durstig. Die Weinkarte ist dann auch bereits in den besten Händen. Die Wahl fällt auf eine Flasche Sassi Grossi 2011 – selbstverständlich serviert im Original Gabriel Glas.
 
Quelle & Bilder: Gourmör

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