Christian Bau: "Wir haben keine Lobby"

Christian Bau über das Ungemach eines Dreisternekochs, schnorrende Blogger, die Fehde mit einem Gourmetführer und darüber, wie er mal einen zeternden Gast aus dem Lokal warf.
Am Morgen nach der Jubiläumsfeier zu seiner ersten Dekade als Dreisternekoch im Schloss Berg wirkt Christian Bau erstaunlich gesammelt und in sich ruhend. Es gilt schon wieder, die nächste Woche zu planen. Der Sous-Chef hat bezüglich der zu bestellenden Menge Lachs noch eine Frage, doch dann ist Christian Bau ganz Ohr.
Welt am Sonntag: Herr Bau, seit zehn Jahren verteidigen Sie Ihren dritten Michelinstern, wie viele schlaflose Nächte hat man, bevor der neue Führer erscheint?
Christian Bau: Keine. Nur in dem Jahr, als wir von „à la Carte“ auf das „Carte-blanche-Menü“ umgestellt haben, hat jemand angerufen, sich als Michelin-Inspektor vorgestellt und erklärt, wir würden den dritten Stern verlieren. Ich habe das ganze Wochenende nicht geschlafen. Am Montagmorgen hat sich die Sache nach einem Anruf beim Michelin als schlechter Scherz eines anonymen Anrufers entpuppt.
Angeblich hätten Sie Ihren dritten Stern schon ein Jahr zuvor bekommen sollen. Was war passiert?
Wir wurden 2004 sechs Mal kurz nacheinander gestestet, der englische, der französische und der europäische Michelin-Chef waren bei uns. Beim letzten Essen wurde zum Nachtisch ein Soufflé bestellt. Das Soufflé kam aus dem Ofen, sah bombenmäßig aus, fiel dann aber am Tisch in sich zusammen. Das Eiweiß war überschlagen worden.
Den dritten Stern haben Sie sich mit einer traditionell französischen Küche erkocht und dann Ihren Stil radikal geändert. Sie wandten sich japanischen Produkten zu. Wie kam es dazu?
Ich bin mit 26 Jahren als Küchenchef hier ins „Victor’s Fine Dining“ in Schloss Berg gekommen, habe im ersten Jahr den ersten, im zweiten Jahr den zweiten Michelinstern erkocht. Den dritten Stern haben wir sieben Jahre nach Eröffnung bekommen. Eine Rekordzeit; mit damals 34 Jahren bin ich immer noch der jüngste Koch, der jemals in Deutschland mit einem dritten Stern ausgezeichnet wurde. Danach ist in mir aber auch eine Welt zusammengebrochen. Wir hatten bewiesen, was wir drauf haben, aber es hat mir keinen Spaß mehr gemacht. Ich hatte das Gefühl, eine Marionette in einer Zwangsjacke zu sein. Mein Herz schlug mehr für die Moderne, für das Asiatische und nicht für die klassische französische Küche.
Manche Kritiker waren nicht sofort einverstanden, bezeichneten Sie als Mozart, dem nichts mehr einfiele. Wird man da unsicher oder nachdenklich?
Wir fingen 2007 an, Gerichte mit Yuzu, Mikan und Sudachi zu kochen; die „Gänseleber in Algen eingewickelt“ und der „Steinbutt süß sauer salzig scharf“ mit Salzzitrone, Süßkartoffel in Ingweröl sind mittlerweile Klassiker. Wenn ich heute die Speisekarten von Flensburg bis zum Tegernsee lese, finde ich diese Produkte und Kochtechniken. Als ich 2007 das erste Mal fünfzig Kilo frische Yuzu nach Deutschland importiert habe, haben mich die Leute für verrückt gehalten. Die Früchte sind so teuer wie Trüffel, aber ich wollte halt nicht nur den Saft, den man in Flaschen kaufen kann, sondern auch die Schale selbst confieren.
Ihre Küche ist durch den Wandel zu asiatischen Produkten zum idealen Begleiter der hiesigen Rieslinge von der Mosel und der Saar geworden. Regionalität durch Weltoffenheit sozusagen. War das geplant?
Nicht vorsätzlich. Mein Sommelier Daniel Kiowski hat sich mit den Winzern der Region wie beispielsweise Markus Molitor oder Nik Weis eine Jahrgangstiefe erarbeitet und brennt für diese Weine. Er wurde dafür im „Gault Millau“ als Sommelier des Jahres 2015 ausgezeichnet.
Sie sitzen mit Ihrem Restaurant in Perl-Nennig eher in einem abgelegenen Winkel Deutschlands, ohne Ballungsgebiet oder Autobahnkreuz in der Nähe. Ist das nicht ein ungünstiger Standort?
Der Standort ist nicht so schlecht. Luxemburg ist in Sichtweite und mit dem Bankenmarkt kommen viele Gäste aus London; fünf Kilometer flussaufwärts liegt Frankreich, Belgien ist zwanzig Minuten mit dem Auto entfernt. Dort leben überall große Genießer. Wir wurden zwischen 2008 und 2011 von internationalen Journalisten sehr gut besprochen. Im Ausland ist das „Victor’s Fine Dining“ in Schloss Berg besser bekannt, und das Ansehen unseres Restaurants dort sehr gestiegen.
Andy Hayler, der einzige Restaurantkritiker, der alle 111 Dreisternerestaurants der Welt besucht hat, zählte Sie 2012 in seiner Kolumne in der „Financial Times“ zu seinen fünf besten Restaurants der Welt. Wie hat sich das ausgewirkt?
Wir haben plötzlich viele Reservierungen aus England, aber auch Skandinavien bekommen. Es gibt ein paar Schwergewichte unter den internationalen Kritikern, deren Meinung zählt. Das ist, als wenn Sie vom Weinpapst Robert Parker 100 Punkte bekommen.
Deutschland hat nach Frankreich die meisten Dreisterneköche, trotzdem bleibt die deutsche Hochküche in der internationalen Wahrnehmung zurück. Spanien und Dänemark haben sich zu Reisezielen für Gourmets entwickelt. Was müsste sich in Deutschland ändern, damit Sie besser wahrgenommen werden?
Wir haben leider keine Lobby. Ich kenne den Mann, der das Marketing für das „Noma“ in Kopenhagen macht und weiß, wie viel das „Noma“ jedes Jahr von der Stadt Kopenhagen und dem dänischen Staat an Subventionen erhält. Die Roca-Brüder in Spanien zahlen weniger Steuern, werden von den Hotelfachschulen unterstützt. Im „El Bulli“ waren von den 45 Köchen der Brigade nur sieben bezahlt. Bei uns gilt die Hochküche immer noch als dekadent. Politiker lassen sich hier gleich gar nicht blicken. Der Bocuse-d’Or-Wettbewerb, die Olympiade der Köche, wird seit einigen Jahren nur noch von Skandinaviern gewonnen. Dort kann sich ein Koch mit einem Förderungsbudget von 250.000 Euro ein Jahr lang coachen lassen, um dann an diesem einen Tag wie ein Uhrwerk zu funktionieren. Wir bekommen von der Politik eher Steine in den Weg gelegt. Mit der Personalzeiterfassung seit Anfang des Jahres beispielsweise. Wir haben mittags außer am Wochenende nicht mehr geöffnet, aber wir kommen trotzdem mit den acht Stunden nicht hin, wenn wir mittags vier Stunden Servicezeit ohne Vorbereitung haben und abends fünf. Für ein Restaurant mit zehn Tischen wäre es unwirtschaftlich, eine zweite Brigade einzustellen. Mir ist es vor Kurzem in 18 Jahren das erste Mal passiert, dass ich Gäste, die bei mir gefeiert haben und noch eine Flasche Champagner bestellen wollten, bitten musste, um 1.30 Uhr das Restaurant zu verlassen und an die Hotelbar zu wechseln. Mir war das unendlich peinlich.
Heute informiert man sich über die besten Restaurants auf Blogs, Facebook und Instagram. Wie hat das Ihr Geschäft verändert?
Ich bin selbst auf Facebook und Instagram aktiv, poste neue Gerichte. Zu den Beziehungen zu den Bloggern muss ich etwas ausholen. Nach dem Finanzcrash 2008 haben wir wochenlang nur noch Stornierungen gehabt. Ohne das Hotel im Hintergrund hätten wir nach sechs Monaten dichtmachen können. Die Gastronomen haben sich dann überlegt, wie sie das Interesse an ihren Restaurants steigern können und haben die Blogger eingeladen. Einige Blogger haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt und das überstrapaziert und angefangen, sich nur noch durchzuschnorren. Irgendwann ist die Sache gekippt. Zur Anschauung drei Beispiele aus jüngster Zeit: Ein bekannter deutscher Gourmetblogger postete vor lauter Mitteilungsdrang jüngst sein Krankenhausessen, ein anderer lässt sich von Airlines upgraden und postet dafür Essen aus der Business und First Class, der nächste bekommt von Rolls-Royce ein Auto gestellt, fährt damit bei einem benachbarten Dreisternerestaurant vor und prahlt damit auf Facebook. Das finde ich armselig. Man hat das Gefühl, je breiter das Bild von den aufgestellten Flaschen der Weinbegleitung ist, umso besser dann der Bericht. Mittlerweile wollen die Burschen auch gerne mal zu viert kommen. Ich spiele da nicht mehr mit.
Sie haben auf Ihren Tischen Schilder stehen, auf denen Sie bitten, nicht mit Spiegelreflexkameras und Blitz zu fotografieren.
Wir verbieten nichts. Mir geht es um die Beeinträchtigung für die anderen Gäste. Ich habe das selbst schon als Gast erlebt, dass am Nebentisch einer mit der Spiegelreflexkamera fotografierte. Das ist nicht geräuschlos, sondern Sie hören den ganzen Abend das Geklicke. Wir hatten schon Abende, an denen von zehn Tischen an vieren fotografiert wurde, teilweise kommen die Leute und packen ihre Dreibeinstative aus. Wir reden nicht von Gästen, die ihr Handy zücken und ein Erinnerungsfoto machen.
Durch die Meinungsvielfalt in den Blogs geht auch Expertise über gutes Essen verloren, oder?
Durch die neuen Medien läuft viel nur noch über die Optik. Am Produkt Gänseleber kann man das gut erklären. Wenn man eine fundierte klassische Ausbildung hat, muss die Beschaffenheit eine gewisse Festigkeit haben, die nur entsteht, wenn man sie sorgfältig denerviert und schichtet. Junge Köche sind dazu übergegangen, die Leber zu passieren, um dann das Gänseleberpüree in eine Silikonform zu pressen. Dafür muss sie dann auch noch eingefroren werden. Für mich ein absolutes No-go. Optisch sieht das super aus, und der Foodblogger, der keine Ahnung hat, fährt voll drauf ab. Die sollten mal eine Gänseleber bei Haeberlin oder bei Bocuse probieren.
Eine andere Geschichte, die für Aufsehen gesorgt hat, ist die Art, mit der Ihre Ehefrau Yildiz, die den Service leitet, über Jahre im Gourmetführer „Gault Millau“ diffamiert wurde.
Das Ganze geht auf ein Ereignis vor vielen Jahren zurück, als ein Ehepaar bei uns zu Gast war, und die Ehefrau den ganzen Abend etwas auszusetzen hatte. Sie behauptete steif und fest, statt einer Bressetaube – ein Bressehuhn bestellt zu haben, obwohl wir das überhaupt nicht auf der Karte stehen hatten. Meine Frau hat ihr die Karte nochmals gezeigt, um sie zu beschwichtigen. Danach war der Wein entweder der falsche oder zu kalt. Es wurde im Lokal so unangenehm, dass sich andere Gäste darüber beschwerten. Ich habe versucht, mit der Dame im Foyer zu sprechen, aber sie wurde diffamierend und laut. Ich musste sie bitten, das Lokal zu verlassen. Die Dame hat sich danach bei allen Führern, Magazinen und bei der Geschäftsführung beschwert. Von den meisten habe ich einen Anruf erhalten, und wir konnten unsere Sicht der Dinge schildern. Von dem Führer, den Sie erwähnen, wurden wir nicht kontaktiert, in der nächsten Ausgabe stand dann aber sinngemäß, wenn man Probleme mit dem Service habe, komme der Ehemann aus der Küche und schmeiße die Leute raus.
Der Vorgang hatte lange Folgen. 2005 schrieb der „Gault Millau“ von „schnippischen Damen im Service“, 2011 hieß es: „Patronne Yildiz Bau kann sich gern öfter eine Auszeit gönnen“. Wie erträgt man als Ehemann so etwas?
Es ist schade, wenn ein an sich seriöser Journalismus in so eine private Ecke abdriftet. Es ist ja nicht nur uns so gegangen. Andere verdiente deutsche Dreisterne-Kollegen wurden regelmäßig mit nur 16 Punkten abgestraft. Ich kenne meine Frau Yildiz seit meiner Ausbildung, sie hat die gleichen Stationen durchlaufen, war auch in der „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn. Wäre sie nur eine Angestellte, hätte ich vielleicht Zweifel haben können. Wir lassen uns heute sicher nicht mehr so leicht provozieren. Wir sind beide emotionale Gastgeber, wollen die Menschen mit unserem Essen glücklich machen. Unsere größte Genugtuung ist es, wenn wir unseren Gästen ein Strahlen in die Augen zaubern können. Wir mussten jedoch lernen, dass man nicht immer „Everybody’s Darling“ sein kann.
 
Quelle: Die Welt
Bild: Christian Bau

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