Prickelnd, was uns Schaumwein bietet

Schaumweine boomen – nicht nur zu Jahresende. Der Export hat sich in den letzten Jahren verdoppelt. Wenn Gastronominnen und Gastronomen Champagner, Prosecco und Co. nicht wie Schaumweine, sondern wie Stillweine kalkulieren, könnte das den Absatz zusätzlich fördern.

Astral von Erick Schreiber, Cuvée M von Secondé-Simon, Carte Blanche von Lagille et Fils, so geht das über zehn Weinkartenseiten. Wir befinden uns im Fischrestaurant La Bitta in Porto Levante, einem unscheinbaren Ort im Delta des Po. Champagner, Champagner, Champagner, nicht die bekannten Kaliber, sondern Winzerchampagner aller Art. In Italien ist man ganz versessen darauf, ob an der Bar oder als Essensbegleiter bei Tisch. Und er wird nie in Flûtes serviert, sondern so, wie man auch guten Weisswein zur Geltung kommen lässt. Es muss aber nicht immer Champagner sein, auch italienische Bollicine sind präsent, allen voran Franciacorta, Trento und im Piemont auch Alta Langa.

SCHAUMWEINE WIE STILLWEINE KALKULIEREN

Wertmässig importieren nur die USA, Grossbritannien, Japan und Deutschland mehr Champagner als die Italiener. «Wenn ich Champagner trinke, werde ich lebendig-froh, wenn ich Wein trinke müde und träge», sagt Antonio Colaianni vom Ristorante Ornellaia in Zürich, der schon im Mesa und im Gustav mit seiner italienischen Küche begeisterte. «Champagner ist einer der wenigen Weine, die fast zu allem passen. Gerade zu fettigen Gerichten ist er perfekt, ein Schluck macht den Gaumen sauber und bereitet ihn auf den nächsten Bissen vor.» Im Gustav konnte Colaianni ganz und gar seiner Leidenschaft frönen: Die Gäste hatten die Wahl zwischen 125  verschiedenen Champagnern und 30  weiteren Schaumweinen, ein Dutzend davon drehten im Offenausschank. Für ihn vermögen die besten Italiener durchaus, mit Champagner mitzuhalten, aus Italien bevorzugt er zurzeit Trentiner wie Ferrari.

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«Schaumweine sollten wie Stillweine behandelt und auch so kalkuliert werden. Es sind alte und überholte Vorstellungen, die das Produkt mit Prestige, Edlem und Teurem belasten.» Ja, die Schweizer Schaumweinkultur ist verstaubt, aber unter den Ablagerungen von Tristesse, Tradition und Trägheit taucht doch hier und dort etwas auf, das einen Trend sichtbar macht.

SCHAUMWEIN BOOMT

Während der Stillweinkonsum weltweit stagniert und in Westeuropa vielerorts erodiert, boomt Schaumwein. Der Exportwert verdoppelte sich in den letzten 15 Jahren, und die Schweiz ist mit dabei. 15,7 Millionen Liter wurden 2010 importiert, heute sind es bereits 20,8 Millionen Liter. Das entspricht nahezu den Einfuhren von Weisswein in Flaschen und macht 12 Prozent des gesamten Weinkonsums aus. Und das ist noch nicht alles. Denn nicht eingerechnet sind in diesen Zahlen Perlweine, der wichtigste heisst Prosecco, der sowohl als Spumante wie als Frizzante auf dem Markt ist. War die Champagne bis vor wenigen Jahren mengenmässig marktführend, so nimmt heute Prosecco diesen Platz ein. Letztes Jahr kamen sage und schreibe 500 Millionen Flaschen in den Verkauf, ein Teil davon als Novität in Rosé.

Der Ursprung dieses weltweit beliebten Schaumweins liegt im Hügelgebiet zwischen den Städtchen Conegliano und Valdobbiadene in der Region Venetien. Gekeltert wird Prosecco aus mindestens 85 Prozent Glera-Trauben, das ergibt einen geschmacklich neutralen Weissen, ähnlich einem Chasselas. Ein natürlicher Vorgang steht am Anfang der Erfolgsgeschichte: Da die Trauben spät im Herbst geerntet wurden, vergor in den folgenden Wochen nicht aller Zucker, und das löste im Frühling, wenn die Kellertemperaturen wieder anstiegen, eine zweite Gärung aus. Beides schmeckte den Bauern, und auch heute noch sind beide Typen im Angebot: Glera als Stillwein und Glera als Frizzante oder Spumante. Die Versektung wird heute in der Regel nicht mehr der Natur überlassen.

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Im Autoklav, einem Drucktank, setzt beim Stillwein mittels Zugabe von Hefe und Zucker die zweite Gärung ein. Sie ist nach wenigen Wochen abgeschlossen, und der Wein ist abfüllbereit. Die rasche Versektung ist im Vergleich zur Flaschenvergärung – Vorschrift für Champagner, Franciacorta oder Cava – unter anderem für die preisliche Differenz verantwortlich. Da Prosecco meist jung am besten schmeckt, wird eine Ernte in mehreren Durchgängen versektet, abhängig etwa von der Bestellungslage. Ein Frizzante (Perlwein) unterscheidet sich von einem Spumante (Schaumwein) gesetzlich durch unterschiedlichen Überdruck und Alkoholgehalt. Spumante weist 3 bis 6 Bar aus, Frizzante 1 bis 2,5  Bar. Während Frizzante steuerlich wie Wein behandelt wird, muss für Spumante in vielen Ländern beim Import eine Schaumweinsteuer bezahlt werden. Die feinsten Prosecchi stammen aus dem Ursprungsgebiet bei Conegliano und Valdobbiadene und verfügen über eine eigene DOCG: Prosecco Superiore Conegliano Valdobbiadene.

Diesen Prosecco gibt es in verschiedenen Geschmacksrichtungen: Extra Brut, Brut, Extra Dry und Dry – Bezeichnungen, die sich auf den Restzuckergehalt beziehen. Extra Brut weist maximal 6 Gramm auf, Brut nicht mehr als 12 Gramm; dies ist eine Abstufung, wie sie generell für Schaumwein gilt. Als Konsumentin von Champagner, Prosecco oder Cava zählt die Schweiz zur Weltspitze, als Produzentin zu den Entwicklungsländern. Abgesehen von ein paar Solitären wie den Frères Bouvier in Boudry oder dem Maison Mauler in Môtiers, die sich bereits im 19. Jahrhundert auf die Schaumweinproduktion spezialisierten, verfügen nur wenige Betriebe über längere Erfahrung. Doch die weltweite Entwicklung hat nun auch die Schweizer Winzer auf Trab gebracht. Aber aufgepasst: Erst eine kleine Anzahl, die flaschenvergorenen Sekt anbietet, macht die Versektung auch selber, die meisten lassen ihre Grundweine durch spezialisierte Firmen verarbeiten, und da bleibt oft einiges auf der Strecke.



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