Wie man Wände durchbricht

Um für das Zwei-in-eins-Konzept des The­ater-Restaurants Applaus zu bekommen, musste das Team der Vierten Wand in Bern eine Disziplin perfektionieren: die Improvisation.

Immer mal wieder verirrt sich die eine ältere Dame oder der andere ältere Herr in die «Vierte Wand» in Bern, um Tickets für die Oper oder ein Konzert zu kaufen – und steht dann meist etwas verwirrt bei der Eingangstür. Denn das Restaurant von «Bühnen Bern» (das Vierspartenhaus umfasst Theater, Oper, Ballett und Konzert) befindet sich heute dort, wo früher die Theaterkasse des Stadttheaters einquartiert war.

Bretter, die die Welt bedeuten
Doch auch wer sich bewusst in die «Vierte Wand» verirrt, hält beim ersten Besuch wohl erst einmal im Entrée inne und lässt den Raum auf sich wirken, wo der alte Bühnenboden des Stadttheaters verlegt ist und in den durch Bogenfenster viel Licht hereindringt.
Das Herzstück des Restaurants ist ein sieben Meter langer Eichentisch, der längste der Stadt Bern. Daran setzen sich den ganzen Tag Gäste; allein, zu zweit oder in Gruppen. So wird die Tafel zum Dreh- und Angelpunkt des Lokals, besonders am Mittag und spätabends. Faszinierend ist in diesen Zeiten das Geschehen an besagtem Tisch für Vierte-Wand-Neulinge vor allem darum, weil dort scheinbar wildfremde Menschen gemeinsam speisen, diskutieren und lachen, als ob sie sich schon lange kennen würden.

Wenn man an einem der kleinen Nebentische sitzt, kann man den angeregten Gesprächen lauschen. Und beobachten, wie jemand nach einer Lautsprecher-Durchsage des Inspizienten («Tabea, auf die Bühne bitte!») seinen Platz schlagartig verlässt. Da realisiert man, dass die Leute am Tisch nicht nur einfach Stammgäste sind, sondern auch einen grossen gemeinsamen Nenner haben: das Stadttheater Bern.

Höhen und Tiefen hinter den Kulissen
Die Vierte Wand ist öffentliches Restaurant und Kantine zugleich. Ziel dieses Zwei-in-eins-Konzepts war es, einen Ort zu schaffen, der ebendiese in der Theaterwelt reale, aber imaginäre vierte Wand durchbricht: Diese unsichtbare Wand zwischen Bühne und Publikum, die Interaktionen entstehen lässt. «Das Restaurant für die 600 Angestellten und für all die externen Gäste so zu führen, dass es diese Brücke zwischen den zwei Welten schlägt, war eine Herausforderung», erinnert sich Julia Wiebelt, die seit der Eröffnung im November 2018 mit dabei ist. Das Konzept habe anfänglich für Misstöne, Kritik und kleinere Dramen gesorgt.

Wenn man weiss, wie eine normale Theaterkantine funktioniert, ist das nicht weiter verwunderlich. Glaubt man alten Bühnenhasen, ist die Kantine traditionell der Bauch des Theaters, wo es manchmal genauso dramatisch zu- und hergeht wie auf einer Bühne: Da werden bei einer Portion Pommes Intrigen gesponnen, nach ein paar Bieren zu viel spielen sich Eifersuchtsszenen ab, oder es fliegen Gläser durch die Luft. Man ist ja unter sich. Wenn also jeder Zugang zu diesem intimen Setting hätte, wäre das, als würde einem jemand Unbekanntes durch die Stube latschen.

Offenheit und Flexibilität in den Hauptrollen
Wie also löst man diese Herausforderungen? Die Antwort darauf klingt ein bisschen wie die Beschreibung von Improvisationstheater. «Indem man dem Publikum, intern wie extern, zuhört, offen und flexibel für dessen Inputs und Anregungen bleibt und trotzdem den Mut behält, auch einmal etwas durchzuziehen», sagt Wiebelt. Ein bisschen Haare auf den Zähnen brauche man dafür schon, weil man es beim Theater mit starken Charakteren zu tun habe. So kommen dem Gastro-Team der Bühnen Bern keine Fritteusen in die Küche und keine Pommes auf den Tisch. Dafür hat es in der Vierten Wand trotz anfänglich anderer Pläne nun immer einen Burger auf der Karte, der (bis auf das Bri­oche-Bun) selbst gemacht ist aus frischen, saisonalen und regionalen Produkten. «Wir kochen unkompliziert, frisch, bunt und fröhlich», sagt Michéle Zimmermann, die die Leitung Küche der Bühnen Bern innehat.

Der Zauber von Zusammenarbeit
Und wie bleibt man so «frech und schräg», wie sich die Vierte Wand auf der Website beschreibt? Die Produktionen im Stadttheater seien immer wieder eine unendliche Inspiration, die Einfluss auf das F & B-Angebot haben. «Konkrete Ideen kommen uns beim Zuhören, im Austausch mit Gästen, mit Künstlerinnen und Künstlern und natürlich untereinander im Team», so Zimmermann.

Während des Lockdowns hätten sie es sich zur Gewohnheit gemacht, ihren offenen Austausch wann immer möglich irgendwo draussen abzuhalten. Darum «sitzt» die Crew der Vierten Wand gerne an der Aare, in einem Café in Bern oder in einer anderen Stadt. Bei solchen Treffen entstünden jeweils jede Menge spannender Gedanken.

Von der Idee bis zur Premiere
Mit einem kreativen Einfall ist es aber bekanntlich nicht getan. Dazu Julia Wiebelt: «Ist die Idee mal geboren, braucht es dann wie beim Theater erst ein Skript.» Danach folgten jede Menge Proben, bis das Gericht dann auf der Karte seine Premiere feiern könne, um dann hoffentlich jede Menge Applaus zu ernten – und damit die vierte Wand zu durchbrechen.

Text Michaela Ruoss
Fotos Michaela Ruoss, ZVG

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