Wilde Werbung

Gut geschäften lässt sich auch, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen. Das beweist die Familie Jann im «Adler» im Muotatal. Und das seit Jahrzehnten. Ihr Erfolgsrezept? Saisonal, regional – und ein eingespieltes Team.

Egal, ob man vom Glarnerland her über den Pragelpass oder von Schwyz aus ins Muotatal fährt, der Weg ist kurvig – und manchmal so eng, dass man hofft, einem möge weder ein Postauto begegnen noch der auf den «Achtung Wild»-Schildern abgebildete Hirsch. Zumindest nicht, bevor man am Zielort ankommt: im «Adler».

WENN JAGDFIEBER HERRSCHT

Das Gasthaus in Ried-Moutathal war in der Gegend schon vor 50 Jahren eine bekannte Adresse für frische Bachforellen und Wildgerichte. Seit Daniel Jann und seine Frau Paula den Betrieb seines Vaters 1995 übernommen und die bewährten Rezepte verfeinert und veredelt haben, pilgern Leute von weit her ins Muotatal. Ein Tal, wo keiner zufällig hinfährt. Ohne Reservation lohnt sich das übrigens auch absichtlich nicht. Die Tische in der getäferten Stube mit dem blau gekachelten Ofen sind meist weit im Voraus ausgebucht, vor allem an Wochenenden und im Herbst, wenn Felle an der Scheunenwand gegenüber dem Gasthof hängen. Sie sind das Zeichen, dass der Gourmetkoch seinen viel gerühmten frischen Pfeffer im Angebot hat.

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«Es ist lustig. Wenn ich während der Wildzeit in die Gaststube schaue, sehe ich da manchmal ein Abbild des Vorjahres: die gleichen Gäste», sagt der Küchenc hef mit einem Seitenblick zu Paula, Romana und Julia. Die drei nicken. «Die einen sitzen da in Wanderschuhen, die anderen in Anzügen», ergänzt seine Frau. Das ist insofern speziell, als dass der «Adler» heute 16  Gault-Millau-Punkte hat. Doch die haben nichts an den Prinzipien im Adler geändert. Eines davon ist, dass bei Janns alle willkommen sind.

DIE 20-KILOMETER-RADIUS-REGEL

Genauso wenig geändert hat sich, dass im «Adler» nur ganz frische und regionale Produkte in den Kochtopf kommen. Regional heisst für die Janns: (Fast) alles, was auf der monatlich wechselnden Karte steht, ist in einem Radius von 20 Kilometern gepflückt, produziert oder geschossen worden. Butter und Käse kommen von der Alp, Fische aus der Muota, Beeren und Pilze aus dem Wald. Manchmal geht die ganze Familie «in die Pilz». Die Janns haben zudem einen Vertrauensmetzger und kennen auch alle Bauern, die ihm die Tiere für Kalbsleberli, Wienerschnitzel oder Landammeplatte liefern.

Und im Herbst kommen die Jäger der Region mit Hirschen, Hirschkälbern, Murmeltieren, Gämsen und Steinböcken vorbei. Je nachdem, was ihnen bei der Hochwildjagd vor die Flinte läuft. Zusammen mit Tochter Romana, die in der Küche für die Vorspeisen, Beilagen und Desserts verantwortlich zeichnet, nimmt Daniel Jann die Tiere aus und verwertet dabei alles. «Von unserem Wild bleiben meist nur Beine und Fell übrig.» Die Devise «Nose to Tail» habe ihm sein Vater, der gelernter Metzger war, vorgelebt.

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WISSEN, WAS DER GAST WILL

Während bei «Tiere ausnehmen» manchem der Appetit vergehen mag, leuchten die Augen von Julia, die gerade das Service-Praktikum für die Hotelfachschule im Familienbetrieb absolviert, dabei auf. «Die Wildzeit war schon immer ein Highlight. Als Kinder durften wir beim Grossdaddy zusehen, wenn er die Tiere ausnahm.» Auf die Spätzli von «Daddy» und Romana freue sie sich auch heute noch wie ein kleines Kind. Während der Saison isst das Team Jann mindestens einmal pro Woche gemeinsam Wild. «Das ist uns in den 26 Jahren hier noch nicht verleidet», sagt Daniel Jann.

Verleidet ist ihnen bisher auch das Wirten nicht, trotz aller Herausforderungen. Eine davon war das Jahr 2020. «Die Lockdowns waren happig», gibt der Chef zu. Doch gerade in dieser Zeit seien er und seine Frau umso dankbarer, dass ihre Töchter ihre Leidenschaft für den Betrieb und das Wirten teilen. «Heute ist es unglaublich schwierig, gutes und treues Personal zu finden.» Und das sei zentral, denn Konstanz sei für den Erfolg wichtig, in der Küche genauso wie im Service. «Unsere Stammkunden schätzen es, dass wir sie und ihre Wünsche kennen – und ihnen so das richtige Gericht empfehlen und es ihnen in der richtigen Schärfe servieren.»
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MARKETINGKOSTEN? NULL

Die Janns tischen zwar gut gewürztes Essen auf, gepfefferte Rechnungen gibts aber keine. Durch den Direktbezug bei heimischen Produzenten ist nicht nur alles frisch und qualitativ hochwertig, sondern durch den Wegfall des Zwischenhandels auch günstig. Das wirkt sich auf die Preise aus: Im «Adler» kostet der Viergänger 76 Franken.
Für Daniel Jann, der die Kosten stets im Auge hat, geht die Erfolgsrechnung dank 25 Prozent Warenkosten, 40 Prozent Personalkosten und tiefem Hypozins auf. Was die Janns nicht zum Leben brauchen, investieren sie direkt wieder ins Restaurant. Marketingkosten haben sie nämlich keine. Die Werbung übernehmen die Gäste per Mundpropaganda.

WHO’S WHO IM «TEAM JANN»

1 Dani Jann (53)
Der leidenschaftliche Koch wirkt so, wie seine Gerichte schmecken: authentisch, ehrlich und unaufgeregt. Für etwas brennt er noch mehr als für den Beruf: die Familie – Yorkie Mickey inklusive.
2 Paula Jann (54)
Ist die geborene Gastgeberin. Sie hat das «Gspüri» dafür, wer was mögen könnte, und kann der Stammkund-schaft viele Wünsche von den Augen ablesen, weil sie ihre Vorlieben kennt.
3 Romana Jann (27)
Die Köchin und Konditorin/Confiseurin hat immer neue kreative Ideen für die Küche. Und weil sie den Chef (ihren Vater) sehr gut kennt, weiss sie auch, wie sie ihm diese schmackhaft macht.
4 Laura Fassbind-Jann (28)
Kümmert sich im Normalfall zusam-men mit ihrer Mutter um das Wohl der Gäste. Derzeit verlangt das neuste und jüngste Familienmitglied aber ihre volle Aufmerksamkeit.
5 Julia Jann (24)
Die Hotelfachschülerin ist die Wel-tenbummlerin der Familie und hat schon die wildesten Sachen gegessen. Aber die Spätzli daheim mag sie immer noch am liebsten.

TEXT MICHAELA RUOSS
FOTOS MICHAELA RUOSS



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