Ein Kaffee-Traditionalist auf neuen Wegen

Die Firma Stoll ist die letzte grössere Kaffeerösterei in der Stadt Zürich. Sie muss die alte Kundschaft pflegen und will gleichzeitig junges Publikum gewinnen. Der neue Trend: Filterkaffee.
Vier Jahre älter als die Firma Stoll ist ihre Kaffeeröstmaschine: Diese wurde 1932 zusammengebaut und immer wieder der Zeit angepasst. Der Oldtimer erhielt einen Nachbrenner, der den Rauch und die Geschmacksstoffe – andere Leute nennen es Geruch oder gar Gestank – vernichtet. Seit zwei Jahren hilft gar der Computer; Tradition trifft auf moderne Technologie. Kurven auf einem Bildschirm informieren den Mann an der Maschine über Röstprofile und Temperaturschwankungen. Dies garantiert eine gleichbleibende Qualität bei allen Sorten des Stoll-Kaffees – vom Espresso Classico über den Milan Rot bis hin zur Hausmischung. Früher mussten sich die Röster allein auf ihre Erfahrung und ihr Gefühl verlassen.
Stoll ist mit ihrem Produktionsstandort in Wiedikon unterdessen die einzige grössere Rösterei, die in der Stadt Zürich geblieben ist: Hemmi Kaffee ist 2012 nach Geroldswil gezogen, Café Noir vom Kreis 5 nach Birmensdorf. Verblieben in der Stadt ist zwar auch Schwarzenbach, doch der Kolonialwarenhandel im Niederdorf röstet nur eine geringe Menge Kaffee. Freilich hat es auch bei der Rösterei Stoll eine gewichtige Veränderung gegeben. 2011 verkaufte die Familie Stoll den Betrieb an einen anderen Familienbetrieb: Die Amanns als neue Besitzer führen im österreichischen Dornbirn in dritter Generation eine Rösterei.

Der Schweizer Meister

Die traditionellen Hausröstungen ­machen den Hauptanteil am Geschäft von Stoll aus, rund 100 Tonnen Kaffee verarbeitet das Unternehmen pro Jahr. Gleichzeitig steht das Unternehmen vor der Herausforderung, junge Kundschaft hinzuzugewinnen. Vor diesem Hintergrund steht das Engagement von Shem Leupin, der 2013 Barista-Schweizer-Meister war und sechs Jahre lang hinter dem Tresen der Sportbar gestanden ist, die sich als eines der ersten Lokale in Zürich der Ambition verpflichtet hat, den perfekten Espresso oder Cappuccino zu servieren.
Leupins persönliches Interesse gilt heute nicht mehr dem Espresso und den Milchkaffeegetränken, im Zentrum steht bei ihm der Filterkaffee – eine Entwicklung, die aus den USA kommt. «Espresso ist vom Geschmack her sehr konzentriert, Filterkaffee dagegen ist ein filigranes und nuanciertes Getränk», sagt er. Aber auch die Zubereitung ist um einiges aufwendiger: Der Kaffee muss zuallererst frisch geröstet sein – die helle Röstung sollte nicht älter als zwei Wochen alt sein. Zudem muss er frisch gemahlen werden. Die Mühle sei bei der Zubereitung des Kaffees gar das wichtigste Element, sagt Leupin. Er misst die Menge auf einer Präzisionswaage ab. Auch den Wasserkocher kann er genau steuern – das Wasser muss 95 Grad heiss sein. Dann gilt es zu pröbeln, bis der Kaffee schmeckt, wie er schmecken muss. Die Tasse, die Leupin schliesslich einschenkt, zeigt ein Getränk, das von der Farbe her eher an einen Tee als an einen Kaffee erinnert. Und vom Geschmack her weniger bitter ist als ein stark gerösteter Espressokaffee, dafür aber mehr fruchtige Säure hat. «Zentral ist, dass man die Kaffeebohne als Naturprodukt wahrnimmt.» Leupin spricht wie die Weinexperten vom Terroir und dessen entscheidender Rolle.

Altbewährtes wiederbeleben

Leupin will den Kaffeeliebhaber nicht weg vom Espresso bringen. Vielmehr hat er den Anspruch, das Prestige des Filterkaffees zu erhöhen. Dieser soll wieder zu etwas Altbewährtem werden, das in der Schweiz Tradition hatte. Doch das sei nicht ganz einfach, sagt er. Die Beizer müssten ihre Gäste aufklären, wollen sie das Getränk so servieren. Und dazu brauche es Personal, das geschult sei. Es sei ein Fachwissen nötig wie beim Wein. «Wein zu servieren, ist zudem einfacher, als Kaffee zuzubereiten, denn Wein wird höchstens dekantiert.» Leupin selber trinkt den Filterkaffee heute «literweise», wie er sagt.
Den Spezialkaffee röstet Leupin nicht auf der grossen Maschine, dafür sind die Mengen zu gering. Momentan braucht Stoll nur ein paar Hundert Kilo pro Jahr. «Um die ganze Komplexität zur Geltung zu bringen, verwenden wir nur hochwertigen Kaffee, den wir auf der kleinen Maschine sehr sorgfältig rösten.»
 
Quelle: Tagesanzeiger
Bild: Reto Oeschger

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