"Müssen Konsumenten umerziehen"

Kampf der Lebensmittelverschwendung: Die Migros hat eine Arbeitsgruppe gegründet, die Industrie will die Ablaufdaten überarbeiten. Auch die Konsumenten werden in die Pflicht genommen.

Staatlich festgelegte Ablaufdaten für Lebensmittel und eine Steuer auf Essensabfälle – mit diesen Massnahmen wollen die Jungen Grünen beim Stimmvolk punkten. Doch bevor die Jungpartei ihren Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung richtig aufnehmen konnte, kündigt die Industrie bereits erste Massnahmen an.

«Bei den Ablaufdaten sind wir daran, Leitlinien zu erarbeiten», sagt Lorenz Hirt, Co-Geschäftsführer der Föderation Schweizer Lebensmittelindustrie (Fial) gegenüber 20 Minuten Online. Die Leitlinien, die voraussichtlich Ende Januar veröffentlicht und mit den Kantonschemikern abgesprochen werden, sollen aufzeigen, welche Produkte wirklich gefährlich sind und dementsprechend mit «verbrauchen bis» gekennzeichnet werden müssen und bei welchen «mindestens haltbar bis» ausreicht (siehe Box).

Migros gründet Arbeitsgruppe, Coop sieht keinen Bedarf
«Vor allem die kleinen Hersteller sind bei dieser Frage oft überfordert und kleben aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen ein Verbrauchsdatum anstelle des Mindesthaltbarkeitsdatums auf die UHT-Milch oder das Joghurt», sagt Hirt. Dabei seien gerade Milchprodukte nicht unbedingt gesundheitsgefährdend, wenn sie das Haltbarkeitsdatum überschritten haben. Das Joghurt säuerle vielleicht ein wenig, die Milch käsele ein bisschen – doch seien immer noch geniessbar. «Hier besteht Handlungsbedarf», sagt Hirt.

Nicht nur die Industrie, auch Detailhändler Migros geht bei den Ablaufdaten über die Bücher. «Wir haben im September eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die herauszufinden soll, wo das Mindesthaltbarkeitsdatum oder das Verbrauchsdatum ohne Bedenken verlängert werden kann», sagt Sprecherin Monika Weibel. Bei Coop sind zurzeit keine solchen Bestrebungen im Gang. Sprecherin Denise Stalder sagt: «Die Qualitätsvorstellungen und -anforderungen seitens Hersteller und Kundschaft sind insgesamt sehr hoch.»

Haltefrist in EU bis 10 Tage länger
Sarah Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) hält dieses Argument nicht für stichhaltig. «Die Anbieter sagen zwar, dass die Konsumenten bis zum Ladenschluss frisches Gemüse und Brot wünschen. Dies ist aber vielmehr ein wichtiges Werbeargument für den Anbieter», sagt Stalder. Sie hegt den Verdacht, dass die Händler und Produzenten die Fristen für Nahrungsmittel absichtlich kurz halten, damit sie mehr verkaufen können. «Es kann nicht sein, dass bei gewissen Produkten die Haltbarkeitsfrist in der EU um bis zu 10 Tage länger ist als in der Schweiz», moniert die SKS-Chefin.

Dennoch glaubt Stalder nicht, dass eine staatliche Festsetzung der Ablaufdaten, wie sie die Jungen Grünen fordern, zum Ziel führt. «Der schnellste Weg führt über die Branche». Diese sei gefordert, einheitliche und wissenschaftlich begründete Kriterien zu wählen, um die Verbrauchsdaten festzulegen. «Ein erster sinnvoller Schritt wäre die Abschaffung des Mindeshaltbarkeitsdatum – das verwirrt die Konsumenten nur», so Stalder (siehe Box).

«Es braucht eine Aufklärungskampage»
Kaum mit Unterstützung rechnen können die Jungen Grünen mit ihrer Forderung nach einer Lenkungssteuer auf Nahrungsabfällen. «Wenn die Detailhändler für ihre weggeworfenen Lebensmittel zahlen müssen, leiden am Schluss die Konsumenten, weil Nahrungsmittel noch teurer werden», sagt CVP-Nationalrat und Landwirt Markus Ritter. Ausserdem seien nicht die Detailhändler das Problem – in ihren Mülltonnen landen nur fünf Prozent der Gesamtmenge – sondern die Konsumenten. «Wir liefern den Händlern nun mal auch Kartoffeln, die der Norm entsprechen, weil wir wissen, das andere meist im Regal liegen bleiben», so Ritter. Für ihn ist klar: Die Konsumenten müssen sensibilisiert werden.

Dieser Meinung ist auch Industrie-Vertreter Hirt. «Es braucht eine Umerziehung der Konsumenten», sagt der Co-Geschäftsführer der Fial. Der Detailhandel könne das aber nicht alleine in die Hand nehmen, indem er statt fünf Feierabendbrote nur noch eines anbiete. «Um die Konsumenten zu erreichen müssen Industrie, Handel und Konsumentenschutz eine grosse Aufklärungskampagne fahren.» Entsprechende Gespräche seien im Gang.

Quelle: 20min.ch

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