Pop-ups – die neuen Popstars

Sie kommen, um zu gehen: Pop-ups. In der Schweiz sind Shops, Restaurants und Bars auf Zeit in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Seit Corona ist ihre Zahl praktisch explodiert. Wie es aussieht, ist auch weiterhin kein Pop-down in Sicht.

Was man früher vor allem im World Wide Web als nerviges, kleines Fenster vor der Nase hatte, begegnet einem in der realen Welt inzwischen praktisch täglich, in Form von Läden, Restaurants und Bars: «Pop-ups». Das sind nach Definition einfach eingerichtete Kurzfristläden, die vorübergehend leerstehende Ladenflächen besetzen. Früher hiess das schlicht Zwischennutzung. Sie kommen, wie so vieles, aus den USA. Dort begann die Firma Govacant 1999 in Kalifornien, mit Kunden das Konzept sogenannter Guerilla-Stores auszuprobieren.

WARUM POP-UPS HÄUFIGER AUFPOPPEN

Damals gab es Pop-ups auch schon in der Schweiz. Die «id»-Designläden von Marco Rampinelli in Zürich beispielsweise. Allerdings poppten sie nur vereinzelt auf. Denn für Schweizer Immobilienfirmen waren Zwischennutzungen lange Zeit Notlösungen. Das liegt laut Chalid El Ashker, Gründer und Geschäftsführer von Pop Up Shops, vor allem an zwei Dingen: Erstens war E-Commerce vor 15 Jahren weniger ausgeprägt als in anderen Ländern und die Immobilienkrise zweitens kein Thema.

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«Dementsprechend war das Angebot an verfügbaren Flächen viel kleiner als beispielsweise in England oder Deutschland, wo es schon länger mehr Leerstand gab.» Die wenigen freien Flächen waren zudem meist nicht zu haben, weil sich die Eigentümer aus diversen Gründen nicht auf einen Mietvertrag von nur drei Monaten einlassen wollten.
«Seit 2015 hat sich der Immobilienmarkt extrem schnell entwickelt», sagt der Experte. Durch den Strukturwandel im Schweizer Retail ist innert kurzer Zeit nicht nur viel Verkaufsfläche verfügbar geworden, sondern auch die Nachfrage nach Pop-ups kontinuierlich gestiegen. Mit Corona explodierten die Zahlen förmlich. «Ab der vierten Februarwoche 2020 sind die Buchungen rasant angestiegen, da ab dann klar war, dass Läden wieder öffnen können. Parallel ist auch das Flächenangebot seit letztem Sommer kontinuierlich weitergewachsen.» Für El Ashker steht fest, dass Pop-ups langfristig einen festen Platz in Retail und Gastronomie haben. Als Point of Sale und Point of Experience.

WAS POP-UPS POPULÄR MACHT

Aber warum sind Pop-ups so gefragt? Für Christian Fichter, Wirtschaftspsychologe und Forschungsleiter der Kalaidos-Fachhochschule, sind sie das ultimative Vehikel, um verkaufspsychologische Tricks zu nutzen. «Es lässt sich bei Konsumenten kaum mit etwas anderem so viel Spontanität, Neugier und Dringlichkeit erzeugen wie mit einem Pop-up.» Sprich: Unter Zeitdruck kaufen Kunden mehr. Und sind sie unter Umständen auch bereit, tiefer in die Tasche zu greifen?
Der Experte verneint. Vielen Unter-nehmen gehe es nicht (mehr) um Absatz oder Absatzsteigerung. Drei andere Motive stünden heute im Vordergrund: «Erstens einmal gehts um Aufmerksamkeit.» Pop-up-Stores dienen quasi als dreidimensionales Plakat, in dem man auch etwas kaufen kann. Dann wäre da die Marktforschung: Pop-ups er-weisen sich laut Fichter als wahre Forschungslabore. Sie geben Unternehmen eine Chance, hautnah herauszufinden, wie sich Kunden bewegen, was sie bestellen und was sie alles beschäftigt. «In einer kleinen Location sind sie eher bereit, sich auf ein Gespräch einzulassen. So können Firmen haufenweise Daten sammeln.» Der dritte Grund ist für den Wirtschaftsexperten die Unternehmensentwicklung. «Pop-ups sind eine Möglichkeit, ohne grösseres Risiko etwas Neues auszuprobieren; beispielsweise eine Strategie, eine neue Location oder ein neues Konzept.»

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WAS POP-UPS ERFOLGREICH MACHT

In der voranschreitenden Professionalisierung liegt in Fichters Augen die Ge-fahr, dass USPs von Pop-ups wie Spontanität, Flüchtigkeit, Improvisationsgeist und Experimentierfreudigkeit verloren gehen und sie für den Kunden unattraktiv werden. Wer heute als Pop-up Erfolg will, muss sich was einfallen lassen. «Es geht um mehr, als nur einen zeitlich beschränkten Shop oder ein Restaurant aus dem Boden zu stampfen. Es geht darum, einen spontanen, innovativen, spielerischen Umgang mit Wirtschaft zu pflegen – oder vielmehr voranzutreiben.» Banale, langweilige Pop-ups begeistern Leute heute nicht mehr. In einem übersättigten Markt könne nur noch jener erfolgreich sein, «der extrem gut ist, überraschend kreativ rüberkommt oder einen Star im Team hat».
Ein Beweis, dass ein bekannter Name als Zugpferd funktioniert, sind die Pop-ups von «Freundeskreis», für das sich Moderator Maximilian Baumann und Koch Alexander Jakob zusammengetan haben. Die 40 Plätze ihres ersten Pro-jekts an der Zürcher Zwinglistrasse im Jahr 2016 waren vom ersten Abend an ausgebucht – und danach jeden Abend für einen Monat. «Meine Bekanntheit hat sicher dazu beigetragen, dass die Leute unser Restaurant damals ein erstes Mal ausprobiert haben», sagt Gastgeber Baumann. «Das zweite und dritte Mal gekommen sind sie aber, weil Alexander in all unseren Restaurants immer wie-der ein richtig geiles Menü kochte – das spricht sich schnell rum.»
Und die Location? Das Freundeskreis-Duo hat seit 2016 wohl kaum Gastrokonzepte in einer alten Tankstelle, in einem Grossraumbüro oder auf einem Werkhof in Zürich umgesetzt, weil die keine Rolle spielt. «Ein Pop-up muss einen möglichst illegalen Charakter haben. Darum machen wir sie dort, wo wohl kein anderer im Traum daran denkt, ein Lokal umzusetzen», erklärt Baumann. Aber: Hinter den Kulissen funktioniere alles wie in einem ganz normalen Restaurant, «und da ist die Küche eben das A und O».

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WIE MAN EIN POP-UP ANGEHT

Jeder Gastronom und jede Gastronomin wisse, wie viel finanzieller, zeitlicher und  bürokratischer Aufwand hinter einer professionellen Restauration stecke. Dieses Wissen und das damit verbundene Risiko ist es laut dem «Freundeskreis»-Mitgründer wohl auch, was viele (noch) davon abhält, ein Pop-up auf die Beine zu stellen. «Wenn man Vertrauen hat in sein Produkt und sein Konzept, lohnt sich das Wagnis aber», sagt Baumann. Das gilt für gestandene Gastronomie-Cracks wie für Neulinge. «Man kann nirgends schneller neue Kunden gewinnen, als wenn man ein Pop-up richtig gut umsetzt.» Ausserdem sei es der beste Weg, zu testen, ob etwas funktioniert oder nicht.
Wer ein Pop-up machen will, muss das heute auch nicht mehr in Do-it-your-self-Manier machen, wie das die Freundeskreisler zu Beginn taten. Mit Unternehmen wie El Ashkers Pop Up Shops gibt es heute Dienstleister, die einem von A wie Aufbau bis Z wie Zahlungsverkehr zur Seite stehen. Oder man klopft bei Pop-up-erfahrenen Gastronomen wie Baumann und Jakob an und fragt nach Tipps und Kontakten. Die zwei erweitern ihren Freundeskreis immer gern.

TEXT MICHAELA RUOSS
FOTOS ZVG



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